Das Wesen des Menschen im Spiegel des Buddhismus

Helmut Walther (Nürnberg)


Mit dem Buddhismus wird auch im östlichen Denken das Sein und das Wesen gedacht, wird der Mensch auf die Schein-Natur des Daseins aufmerksam. Eine moderne Ausformung dieser Lehre bringt Keiji Nishitani (*1900), der zur Zeit der Abfassung seines Buches "Was ist Religion?" (1961, deutsch 1981) als der größte lebende Philosoph Japans galt.

Seine eigene Stellung gibt er, der sich mit der Tradition des Westens von Aristoteles über Augustin, Eckehart, Descartes bis hin zu Hegel, Nietzsche, Bergson, Sartre und Heidegger auseinandersetzt, so an: "Wenn es um den Buddhismus geht, so kann ich den Buddhismus annehmen als ein werdend gewordener Buddhist ... und von diesem Standpunkt aus kann ich zur selben Zeit ein werdender (nicht gewordener) Christ sein."

Dieser Satz gründet auf einer Zusammenschau der inneren geistigen Gehalte beider Hochreligionen und deren Verwandtschaft; diese Deduktion ist in Hinsicht auf die Mitleidsethik wie die Liebe als die Grundpfeiler beider Religionen sicher richtig. Falsch erscheint aus westlicher Perspektive jedoch die grundsätzlich beibehaltene buddhistische Vernichtung der Realität und deren Bedeutung, auch wenn scheinbar für diese Meinung Zeugen wie Eckehart, Franz von Assissi oder Heidegger herangezogen werden können.

I. Der "Große Zweifel"

So ist Nishitanis Gleichsetzung, daß dem Sein der Dinge und Phänomene sowie dem Leben einerseits auf der anderen Seite das Nichts als abolute Negativität sowie der Tod in jeweils gleicher Realität entspräche, doch erst noch in Frage zu stellen:

Weshalb diese Trennung zwischen Dingen und Leben, als ob hier von Grundverschiedenem die Rede sei, mit welcher Trennung der kontinuierliche Zusammenhang alles Seienden verschleiert wird? Durch diese Aufspaltung erscheint der Tod als etwas anderes als das Nichts, dem hinterher jedoch eine "gleichartige Realität" zugesprochen wird wie dem Nichts. In Wirklichkeit handelt es sich um eine fehlerhafte Analogie, weil Nishitani nicht recht aufmerkt, was er sagt: zuallererst hat der Tod eine ganz andere Realität als das Nichts als "absolute Negativität"; wir können den Eintritt des Todes beobachten, wir können ihn beschreiben als das individuelle Ende der Funktion Leben, wir können ihn medizinisch hinauszögern, ja, wir können ihn als lebensfördernd einstufen, weil nur das Vorhandensein des Todes die Steigerung bei lebenden "Systemen" erlaubt – alles ganz anders als das "Nichts", von dem unsere Ratio keinerlei Vorstellung hat, haben kann, weil es sonst eben gerade nicht das Nichts wäre, das vorgestellt würde.

Schon rein funktional ist das Nichts als Vorstellung unsinnig, ein leerer Wortbalg, weil ohne Inhalt nichts vorgestellt werden kann. Wenn wir aber das "Nichts" in der "reinen Vernunft" denken, etwa als absolute Negativität, so tun wir nichts anderes, wie es sich auch am Phänomen des Unendlichen zeigt: das Nichts ist die "positiv" gesetzte absolute Negation ebenso wie das Unendliche die "positive Endlosigkeit" ist, und geradeso wie die Ewigkeit nichts anderes ist als die endlose Zeit. Überall Positivierungen von Negationen, positive Verselbständigungen der Vernunft, um Offenes zur Feststellung zu bringen. Nicht jedoch in einem inhaltlichen Sinn, denn mit all diesen "Positiva" ist nach wie vor keinerlei Vorstellungsgehalt verbunden und verbindbar, sondern um dieser Feststellung als solcher willen, mit welcher die beunruhigende Offenheit, jene Lücke der Vernunft, die nur durch Transzendenz überwunden werden kann, geschlossen werden soll, um nicht als Vernunft von dieser Lücke gebannt zu sein.

Tod und Nichts sind keinesfalls gleichartige Realitäten, aber sie haben natürlich etwas miteinander zu tun; dies zeigt sich als erster Anschein schon darin, daß der Tod zum Nichtsein eines ehemals Seienden führt, und somit die Negation des Lebens ist. Andrerseits führt der Tod nicht zum Nichts, insofern er einen toten Materiehaufen zurückläßt, der sich ebenfalls nicht ins Nichts auflöst, sondern am Kreislauf der Materie weiter teilnimmt. Tod führt also nur zum Nicht-Mehr-Dasein einer Funktion; mithin ist er nicht gleichartig mit dem Nichts, sondern ein kleiner Ausschnitt der absoluten Negativität in Bezug auf das Leben, und zwar kein "an sich", sondern ebenfalls wie das Leben selbst nur eine Funktion innerhalb der Materie, wohingegen das Nichts als absolute Negativität, wenn überhaupt "etwas", ein "an sich" sein muß, nämlich das "Nichts an sich".

Soweit besteht Übereinstimmung mit Nishitani: der "Große Zweifel" ist die noch rein negative Entäußerungshandlung heraus aus der Vernunft und deren Schematisierung der Welt, welche Entäußerung erst durch den "Sprung", die "unio mystica" ihre eigentliche Positivität erhält. Auf diesem Weg scheint jedoch Nishitani den Begriff des Bewußtseins und damit das Bewußtsein vom Bewußtsein ungenügend zu reflektieren: zwar sieht er die Zwischenbestimmungen des Abendlandes, also die Reflexion im Gang der neuzeitlichen westlichen Philosophie anhebend mit Descartes, aber er will diese reflexiven Zwischenbestimmungen in östlicher Manier überspringen, hinein in ein höheres/tieferes "Gesamtbewußtsein" in angeblich existentieller Erkenntnis des aboluten Nichts, welches ebendadurch positiv werden soll als Einung in der innerlichen Nichtigkeit alles Seienden – hier die Verwandtschaft mit Schopenhauer und der Nichtung des Willens.

Die westlichen Zwischenbestimmungen in der Reflexion der Vernunft verlangen aber eine genauere Definition jenes "Gesamtbewußtseins" und jener mystischen Bilder von Nichts und Einung, vom Umschlagen der "absoluten Negativität des Nichts" in positive "religio" an jenes Nirwana. Ein Indiz für die Richtigkeit dieses westlichen Ansatzes ist darin zu finden, daß es möglich ist, jene einst ebenfalls rein mystischen Bilder des Ostens vom "Großen Zweifel" in rationale Bewußtheit zu übersetzen und trotz beziehungsweise samt dieser Rationalität in Existentialität zu überführen. Die Hinführung auf jenes Stadium der absoluten Verzweiflung der Vernunft an sich selbst in der Doppelreflexion als jenen "Großen Zweifel" läßt sich auch im Wege einer rationalen Durchsicht und Durchsichtigkeit schildern, wo vorher von den Religionen existentielle Verhaltensweisen auf den Glauben hin gefordert wurden. Der "edle achtteilige Pfad" Buddhas, das "Anziehen des Neuen Menschen" im Christentum, beides sind gleichartige Bilder für einen existentiellen Vorgang, der mit der Doppelreflexion der Vernunft rational eingeholt und sagbar ist. Dann kann, wird und muß es aber die nächste Aufgabe sein, diejenige Weise dieses "neuen Bewußtseins" aufzuhellen, die bislang zu aller Zeit nur rein mystisch oder aber rational-nichtssagend ausgesprochen wurde: die Transzendenz des heutigen Bewußtseins. Und dies postulierte und in den Heilserwartungen existentiell ausgesprochene "neue Bewußtsein" darf vor allem nicht verwechselt werden:

a) mit emotionalen oder gar instinktiven Gehalten, gegen die sich auch Nishitani wendet (Mystizismus der "schönen Gefühle").

b) mit rationaler Mystik, der etwa Heidegger anheimfällt – und in Folge der Kenntnis der westlichen Philosophie in manchem wohl auch Nishitani.

c) Die größte Gefahr aber, der Nishitani in Analogisierung der westlichen Metaphysik erliegt, besteht darin, die alten Bilder jener Einung und des "neuen Bewußtseins" als unveränderte und unveränderliche auf uns Heutige zu übertragen: die Aussagen eines Buddha, eines Jesus wie der Mystiker aller Religionen zur Heilserwartung beziehungsweise zur "unio mystica" direkt auf uns zu anzuwenden, als wäre der Mensch immer und überall der gleiche und hätte sich seither in seinem innerlichen Bestand nicht verändert.

Wir sind heute in einem völlig anderen Stande, und wir dürfen jene Zwischenbestimmungen, die durch die Erkenntnisse des westlichen Geistes in der Reflexion der Vernunft erfolgten, nicht einfach außeracht lassen beziehungsweise rückwärts analogisieren (wie Nishitani tut), sondern wir haben dieses "neue Bewußtsein" in der Transzendenz des "alten Bewußtseins" im Spiegel dieser Zwischenbestimmungen zu sehen, die unser heutiges Bewußtsein im eigentlichen ausmachen. Hier kann uns kein Sprung zurück in die "tiefe Weisheit des Buddha" helfen, weil der Buddha von unserer heutigen Geschichtetheit(1) ebensowenig eine Ahnung haben konnte wie sonst einer.

Vielmehr tragen die Aussagen all jener Stifter von Hochreligionen in der innerlichen und aktiv werdenden Leitungsübernahme der Vernunft zwar weit in die Zukunft aus deren jeweils eigener Zeit heraus und voraus – aber sie tragen alle nicht über die Vernunftkategorie hinaus! Die Vollendung dieser Kategorie in der Verzweiflung der Doppelreflexion bedeutet gleichzeitig das Ende aller derzeitigen Hochreligionen. Nicht jedoch im vordergründigen Sinn des daraus folgenden Atheismus, sondern das Ende ihrer inneren Tragfähigkeit, die in ihrem Ausgangspunkt begründet ist, aus welchem Ausgangspunkt notwendig eine bestimmte Begrenzung an Tragkraft und -zeit folgt, die mit der Ausdifferenzierung der Reflexion der Vernunft erreicht ist: Was in diesen Religionen vorhergesehen und vorweggenommen ist und überwunden werden sollte, das ist genau jenes Stadium des Endes der Vernunftkategorie, deren jeweils erreichte Stufen in der Zeitlichkeit als das Höchste genommen und mißbraucht wurden, deren Relativität aber in den Hochreligionen bereits vorweggenommen wurde. Dies jedoch ausgehend vom Höhepunkt von deren Rezeptionsstufe im Zeitpunkt der phylogenetischen Leitungsübernahme durch die Vernunft, und so erschöpfen sie sich in der Vorhersehung der Relativität auch noch der Reflexion der Vernunft und im Versuch eines vorgreifenden Überwindens des Relativitätsdilemmas der Vernunft.

Auf diese Weise durften und mußten die Hochreligionen jene Zwischenbestimmungen überspringen, welche die Zukunft in der Wirklichkeit erst noch hervorzubringen hatte, weil im Schoß der Realität die Möglichkeit der Reflexion all jener Wesenheiten bereits vorhanden war, die als Rezeption den ersten Halbkreis der Vernunftkategorie ausmachten; und all jene Zwischenbestimmungen, die den Weg der neuzeitlichen Philosophie ausmachen, konnten, wenn sie nur recht auf die Hochreligion aufmerksam wurden, sich immer wieder als im inneren Kern in jener als bereits vorweggenommen sehen (wohin der "Hase Zwischenbestimmung" auch lief, der "Igel Hochreligion" war schon da), bis alle Zwischenbestimmungen durchlaufen waren hin an den äußersten Rand der Möglichkeit der vernunftgemäßen Doppelreflexion.

Damit aber ist die Vorhersage und das Vorweggenommene eingeholt, der "Große Zweifel" ist aus der Mystik herüber in den bewußten Bestand des Menschen eingegangen, aus Metaphysik ist Tradition und Anthropologie geworden. Man könnte es auch so sagen: sämtliche Zwischenbestimmungen der neuzeitlichen Philosophie sind identisch mit jenem "Großen Zweifel", sind seine Stationen in der geschichtlichen Phylogenese. Damit aber steht der Mensch in einer anderen Weise vor der Relativität der ausgehenden Vernunftkategorie als die Künder jener Relativität am Beginn von deren Reflexion. Der "Große Zweifel" ist heute keine Sache der mystischen Erfahrung und Vorwegnahme, sondern eine rationale und bewußte Begebenheit im Bestand des Menschlichen, ein Durchlaufen von Tradition, und so kann diese rationale Erfahrenheit auch nicht einfach mit einer mystischen Einung beantwortet werden wie vordem, wo beide Erfahrungen (Zweifel und Einung) mystischen Ursprungs waren.

An dieser Stelle wird ein neuer Versuch zum Verständnis des Mystischen möglich: Mystik kann es immer nur dann und überall dort geben, wo eine Differenz zwischen der maximalen Potenz einer Kategorie und der bisher in der Realität ausgewickelten Ausdifferenzierung vorliegt; Mystik ist identisch mit dem Vorgriff auf jene maximale Potenz in der damit zwangsläufig verbundenen Erkenntnis der Relativität auch noch dieser maximalen Potenz. Die Einsicht in die Relativität des Vermögens nichtet seitens der Existenz die Potenz desselben. Daher die Unaussprechlichkeit der mystischen Erfahrung, weil das Sagen auf die Bilder des realen Entwicklungsstandes angewiesen ist, in welchem das Vorweggenommene noch gar nicht vorhanden sein kann und damit ohne rationalen Begriff ist, der Voraussetzung der eigentlichen Sagbarkeit. Zumindest innerer Gehalt und Weg des "Großen Zweifels" sind heute auf den rationalen Begriff gebracht.

Daraus folgt, daß all jenes, was in den Hochreligionen wie in der Mystik über den "Sprung" ausgesagt wird, also über jenes "neue Bewußtsein", zu und in welches man über jenen "Großen Zweifel" gelangen sollte, ganz neu angefragt werden muß. Denn ist nach einer solch rationalen Einholung des Vorweggenommenen, jedenfalls in Bezug auf den "Großen Zweifel", ein solcher "Sprung" überhaupt möglich, nötig? Oder muß hier nicht eine "andere" Fortsetzung folgen – etwa als Rezeption einer erneuten Kategoriesteigerung? Jedenfalls wäre die fraglose Akzeption der Notwendigkeit eines "Sprunges" eine kritiklose und empirische Fortschreibung und Verlängerung jenes Hergebrachten, das gerade in seiner Not, die jenen Sprung begründete, eingeholt ist.

Anders ausgedrückt: läßt die nunmehr rational-begriffliche und existentielle Erkenntnis der Relativität der Vernunft notwendig auf einen Sprung schließen? Einen Sprung braucht man, um einen Graben zu überwinden; aber dieser Graben, der in der Differenz zwischen tatsächlicher Auswicklung und maximaler Potenz der Vernunft einst und bis kurz vor uns selbst hin noch vorhanden war, dieser Graben ist nun geschlossen. Wozu dann ein Sprung?

II. Das "östliche" Nichts

Es sei die tiefere Perspektive, das Sein vom Nichts her zu denken, als das Nichts vom Sein her – mit dieser These wird nicht nur der Satz des Parmenides(2) auf den Kopf gestellt, sondern in Wirklichkeit das Terrain des Denkens verlassen in Richtung auf existentielle Mystik. Denn da das Nichts nicht gedacht werden kann, so wird hier zum Ausgangspunkt nicht ein Gedachtes gemacht, sondern ein mystischer Entschluß: Gott/Nirwana als Nichts.

Hinter dieser Umkehrung der Perspektive sollte sich ein Vor-Urteil verbergen, ein "Geschmack", die Art und Weise der östlichen Existentialität, wie sie sich im Aufbau des Verstandes in Verbindung mit der Emotio ausgebildet hat. Das "Urteil", daß ein solcher Ansatz der tiefere sei, das sich vordergründig als Vernunfturteil gibt, ist dann ebenfalls ein Vorurteil, das auf dem genannten Boden erwächst. Denn auf welche Vernunftgründe wollte sich ein solches Urteil berufen? Und: ein solches "Urteil" kann nicht einmal Gründe für sein eigenes Zustandekommen wollen können! Denn alle Gründe kämen nur aus der Ratio, gehörten jener zu, und stammten eben damit aus dem Seienden; damit aber können sie unmöglich in das per definitionem umgekehrte Verhältnis eindringen, weil Ratio unauflöslich mit persona verbunden ist und hinter diese nicht zurück kann. Das Nirwana als absolute Negativität ist vorpersonal, überpersonal – und so können Vernunftgründe diesem weder etwas geben noch etwas nehmen – die Behauptung der "tieferen Perspektive" als "vernünftiger Satz" ist mithin ein Selbstwiderspruch. Ratio kann immer nur vom Seienden auf das Nichts hin gehen, der umgekehrte Weg sagt ihr gar nichts.

Eine andere Frage könnte sein, wie hier das Verhältnis zwischen existentieller Innerlichkeit und deren Verhältnis zum Nichts gedacht werden kann: also jene "Sphäre" der Person, deren Vernetzung mit einem bestimmten Personalbestand das Subjekt bildet. Anders ausgedrückt: kann die Affirmation des Selbst "in Gott" seitens der Betroffenheitssphäre als aus dem Nichts herrührend weniger gedacht als vielmehr existentiell er- und gelebt und damit ausgewickelt werden?

Bei dieser Argumentation kommt Nishitani im übrigen von Eckehart her, über den er einen ganz ausgezeichneten Exkurs gibt. Bei kaum nennenswerten Unterschieden in dessen Auffassung ist es verwunderlich – oder im Hinblick auf den west-östlichen Gegensatz auch wieder nicht –, daß in den daraus folgenden Schlüssen ein offenkundiger Dissens besteht in jener Perspektive, zu welcher Eckehart als eine Art Mitte anzusehen wäre: bei ihm gehen Nichts und Sein deckungsgleich ineinander auf, sodaß bei ihm eine unterschiedliche Gewichtung der Perspektiven "vom Sein her, "vom Nichts her" gar nicht möglich scheint.

Dieser Unterschied in der Perspektive ist es sicherlich auch, der Nishitani über jene kategoriellen Zwischenbestimmungen hinweggehen läßt, auf welche hier großer Wert gelegt wird; deshalb meint er einen anderen Weg gehen zu können in einer mystischen Er-Eignung des absoluten Nichts hin zu einer positiven "Gesamtbewußtheit", wo hier über die Zwischenbestimmungen ein Stufenweg in einer ständigen Zunahme des Bewußtseins vom Seienden her gesehen wird, welche "Allbewußtheit" Nishitani direkt vom Sein in Form des absoluten Nichts hernehmen will. Im Gegensatz zur direkten Ereignung der Allbewußtheit durch das Individuum wird hier die Meinung vertreten, daß jene "Allbewußtheit" nichts anderes ist als die Fortsetzung der "All-Belebung" mit den Mitteln des Geistes als einer weiteren Funktion des Seienden, das sich "spiralförmig" nach vorne offen nur vom Seienden aus sich steigert.(3)

Bei Nishitani ist in jenem Persektivwechsel vom Sein zum absoluten Nichts, das nur erlebt werden können und so den (Gottes-) Grund des wahrhaft freien Subjekts bilden soll, jenes "Große Zurück" zu schmecken, das schon bei Buddha vorhanden ist: ein mystischer "Urgrund" der Existenz, von dem mittels der Ratio behauptet wird, daß er der Ratio nicht zugänglich sein soll, nichtsdestotrotz aber vorhanden sei.

Es fragt sich dann, womit denn dieser "Kontakt" zum absoluten Nichts "erlebt" werden soll, wenn das Bewußtsein als rationales Selbstbewußtsein nicht beteiligt sein darf.(4) Zwar wird hier jener "göttliche Funke", die "Seele", die "Innerlichkeit" als Einwendung gebracht werden können – doch all diese schönen Dinge sind doch auch nur insoweit vorhanden, insoweit sie bewußt sind – nicht identisch mit Bewußtsein, jedoch über das Bewußtsein vermittelt. Das jeweilige Bewußtsein aber steht und fällt mit der Art und Weise des "Vermögens" (Emotio, Verstand, Vernunft), welche dieses Bewußtsein ausbildet. Insofern spricht die Kategorieentwicklung des menschlichen Bewußtseins wie des Bewußtseins überhaupt gegen die Möglichkeit einer anderen Erlebens- und vor allem "Erkenntnis"-Sphäre, weil an der Erschließung einer jeden neuen Bewußtseinsschicht die jeweils alte niemals ausgeschlossen war, sondern immer die dienende Basis zur Verifikation und weiteren Steigerung bildete. Und auch noch Nishitani bedient sich doch in Wirklichkeit gerade jener Ratio, sonst könnte er über all dies weder denken noch schreiben.

Auch hier wieder stößt man mithin auf das Problem der Perspektive hinsichtlich des "Urgrundes", der "Seele", des "göttlichen Funkens": liegen "Kontaktstelle" und "Allbewußtheit" "vor", "am Grunde" des Seins als "Nichts", oder ist Sein und Nichts dem Seienden vollständig unbekannt, weil es im Seienden nur eine graduelle Zunahme der Bewußtseinsstufen geben kann, welche von der vernunftbasierten östlichen Anschauung mittels dem unausgesprochen Glauben der Vernunft an die eigene Potenz verabsolutiert und damit falsch interpretiert werden? Denn es sind Maßstäbe der Vernunft, Verlängerungen und Idealisierungen von deren Einsichten, welche überhaupt zu solchen Anschauungen wie "Urgrund" und "Nichts" Anlaß geben. Es ist die Transzendenz der Vernunft auf ihrer eigenen Basis, die in der Statik der "Wesensschau" hinter den Dingen den Urgrund sucht (s. a. Platons "Wiedererinnern"). An diesem Punkt verwandelt sich für die Vernunft der Schein des Seienden (also die Erscheinung der Dinge im Verstande) zur Scheinhaftigkeit des Seienden wie des Seins überhaupt und damit zum absoluten Nichts.

Die Definition des absoluten Nichts würde nach Nishitani etwa so lauten: das nihil, westlich beziehungsweise mit dem Christentum gedacht, ist zunächst die gedachte absolute Negation, der nur gedachte Gegensatz zum Sein, und von daher nur eine Worthülse als Gegensatz zum "Seienden im Ganzen" (das Gesamt der Dingwelt). Und dieser Gegensatz bleibt als solcher bestehen, läßt sich weder vermitteln noch aufheben, gerade weil er im Verhältnis zum Seienden nur ein Gedachtes, eine Denkschablone ist, welche aus der Funktion und Struktur des Denkens selbst und allein daraus begründet ist, und hinter welcher Schablone sich nichts als die Negation als "Gegensatz-Denken" verbirgt (das letztlich der Polarität der Emotio entstammt).(5)

Das tatsächliche absolute Nichts als der Urgrund des Seins ist aber für Nishitani nichts lediglich Gedachtes, sondern ein Erlebtes: dasjenige Erlebbare, was zugleich das Ursprünglichste, der Ursprung, ... der Ur-Sprung sei! Auch in diesem Wort erweist sich die deutsche Sprache wieder einmal als faszinierend, insofern jeder echte Ursprung sich als solcher gerade damit ausweist, daß er eine Kluft zwischen sich und alles andere legt. Von daher wäre der "Ursprung" erst noch einmal zu zergliedern: ein Ur-Sprung ist das Ent-Springen, ist der umwandelnde Akt, und damit ein Anderes als dasjenige, dem entsprungen wird. Das Nichts kann mithin nur Urgrund, nicht jedoch Ursprung des Seienden sein; folglich erfordert der umwandelnde Ur-Sprung vom Nichts ins Seiende noch ein "Drittes", weil sonst nicht einzusehen wäre, wie das absolute Nichts zum Urgrund des Ent-Springens des Seienden hätte werden können; vielmehr hätte sonst das Nichts Nichts bleiben müssen. Damit ist gleichzeitig gesagt, daß das Nichts nicht der Ursprung des Seienden ist.

Dieser Unterschied zwischen der westlichen und östlichen Auffassung, zwischen derjenigen Nishitanis und der hiesigen, erweist sich in der Stellung zum Urgrund: dessen, was die Physik die "erste Singularität" nennen würde. Was zunächst wie ein epigenetisch bedingtes emotionales Geschmacksurteil aussieht, dürfte wohl eher ein Kategorieurteil sein, nämlich auf die Hauptkategorie der jeweiligen Gesamttradition gesehen, innerhalb derer einerseits der Westen, andrerseits der Osten steht.

In diesem Grundurteil und in dieser Grundstellung zur ersten Singularität macht sich der Unterschied der Kulturkreise und damit der epigenetischen Ausstattung und Reaktion auf das Umseiende am authentischsten geltend: für die persona des Menschen und seine Stellung zur Welt kommt es darauf an, ob er diese Singularität (wie bewußt auch immer) des Urgrundes (Gott) als Nichts definiert (wie absolut auch immer), oder ob diese Singularität als diejenige Kraft gesehen wird, der alles Seiende entströmt, weil es diese Kraft erst ist, die den Ur-Sprung ermöglicht. Merkwürdigerweise taucht dies Wort Kraft im Text Nishitanis zunächst nicht auf, obwohl er sicherlich Johannes 1,1 wie den entsprechenden Faust-Monolog kennt; fast scheint es, daß dies in der östlichen Sehweise nicht einmal eine Frage ist, weil man fraglos von der Qualität des Nichts als absoluter, "urgründiger" überzeugt ist?

Offenbar wird die zusammenführende Einheit von Nichts und Sein, als "Sein im Ganzen als solches", genau andersherum weniger gedacht als empfunden, als es der Westen tut. Denn vom Denken her ist die Sache eindeutig, wie es schon Parmenides sagt; nachdem aber die Menschheit nirgends, auch nicht in einem einzelnen Individuum, bisher das Medium der Vernunft beziehungsweise der Doppelreflexion überschritten hat, können Aussagen, die mit der Vernunft in Widerspruch stehen, ausschließlich aus einer Konstellation erfahren und geboren werden, die aus einer Verbindung zwischen lebendiger Innerlichkeit und unterhalb der Vernunft liegenden Vermögen stammen. Vereint der Westen Nichts und Sein in der Singularität der Kraft (wie es etwa hier mit der Sublimation der energetisch-lebendigen Innerlichkeit geschieht, ohne allerdings ein Heranrühren an die letzteigentliche Singularität beziehungsweise eine solche überhaupt für möglich zu halten), so sieht der Osten die Vereinigung des Seins und des gedachten Nichts im absoluten Nichts – es drängt sich bei dieser Wendung eine Sehnsucht nach Ruhe auf, von ataraxia(6), im Sinne der Unbewegtheit eines in sich selbst ruhenden Nichts, mithin als der genaue Gegensatz der Anschauung des Abendlandes, in der Gott als der selbst unbewegte Beweger gedacht wird (z.B. von Aristoteles bis hin zu Plotin).

Der Mensch in seinem Menschsein als verstandes- beziehungsweise vernunftbegabtes Wesen kann auf einen "Zusammenstoß" mit dem Nichts als einen erlebten nur reagieren, wenn ihm dieser Zusammenstoß bewußt geworden ist, wenn er eine wissentliche Bedeutung gewonnen hat. Dies besagt nicht, daß der Zusammenstoß mit dem Wissen auf der Basis der Vernunft erfolgen muß, denn er könnte und soll nach Nishitani auf der Ebene der existentiellen Innerlichkeit geschehen. Ein andere Weise des Zusammenstoßes wäre auch deshalb unmöglich, weil das Wissen vom Verstand bis hinein in die Doppelreflexion der Vernunft vom absoluten Nichts nichts zu wissen bekommen kann.

Das positive absolute Nichts als der Urgrund des Ur-Sprungs des Seins kann somit, wenn überhaupt, nur auf der lebendigen Betroffenheitssphäre erlebt werden. Dann ist es aber notwendig, das Verhältnis jener Betroffenheitssphäre zum Bewußtsein in seiner jeweiligen kategoriellen Ausformung zu klären einschließlich desjenigen, was in diesem Zusammenhang der Terminus "Gesamtbewußtsein" sagen will, das doch das Ziel jenes Sprunges, jenes Kontaktes mit dem Ur-Sprung/Urgrund/absoluten Nichts ist.

In diesem Zusammenhang zwischen den verschiedenen funktionalen (Denk-) Vermögen und Bewußtsein einerseits und der lebendig-existentiellen Sphäre andererseits ist von Nishitani nichts Rechtes zu hören, vielmehr behilft er sich hier mit dem hergebrachten Begriff "Seele", wobei er jenen Begriff des lebendigen inneren Kernes unbestimmt, in einer Konstatierung der bloßen "Tatsache", stehen läßt, daß es einen solchen "Kern" gebe, und daß es dessen Aufgabe sei, zu transzendieren, sodaß sich in ihm jener Kontakt ereigne (etwa parallel zu Eckeharts "göttlichem Winkel").

Dies entspricht der asiatischen Tradition, basiert aber auf einer lediglich oberflächlichen Selbstbeobachtung des Menschen, der an sich selbst bereits bei einer gewissen Anspannung derselben eine "oberste Entscheidungsinstanz" wahrzunehmen vermag, die nicht identisch ist mit seinen Funktionen (Ratio, Emotio, Instinkt), sondern die als Andere den Funktionen gegenübersteht und im eigentlichen entscheidet – eben dasjenige, was seit alters her "Seele" heißt und durchaus auch im Westen erst die Freiheit des Individuums begründet (ansonsten würde der Mensch tatsächlich materialistisch und determiniert als bloße Funktion aufgefaßt).

Gerade diese schwammige Unbestimmtheit des Begriffes "Seele" ist es, welche der Mystik und Metaphysik Tür und Tor öffnet: wenn über jene "Seele" nichts Konkretes ausgesagt wird, außer sie negativ zu umkreisen (etwa, daß sie nicht stofflicher Natur sei – im übrigen scheinen solche Negativschilderungen der Auffassung von "Gott" selbst zu ähneln(7)), so vermag seitens der Ratio keinerlei konkrete Zuordnung angegeben werden, wie und auf was sich "Seele" als innerliches und letztliches Entscheidungsorgan bezöge beziehungsweise überhaupt beziehen kann. Es sind die fehlenden Zwischenbestimmungen der Seele selbst, warum sowohl der reflektierte Westen (Schopenhauer, der Nihilismus) wie die Mystik des Ostens die Seele auf das Nichts beziehen: der Westen auf ein negatives und negierendes Nichts, das nur eine gedachte Worthülse, und wo das Nichts vom Sein her gedacht ist; der Osten auf das Nirwana als das positive absolute Nichts, identisch mit "Gott" und dessen Singularität als Nichts, wobei die Einswerdung zwischen Seele und Nichts sich nicht im Medium des Denkens ereigne, sondern im "Feld der Leere" als Erleben der "reinen Seele" nach dem "Großen Zweifel".

Es liegt wohl an den die Innerlichkeit ("Seele") auf jeder Kategoriestufe ansprechenden Bildern von Seele, Großem Zweifel und Nichts, an der Nachgiebigkeit des bewußten Denkens gegenüber metaphysischen Vorstellungen auf allen Kategoriestufen, daß hier die Innerlichkeit sofort und vorschnell reagiert, anstatt darauf zu sehen, was sich seit der Zeit des ersten Auftretens dieser mythischen Metaphysik (Buddha, Jesus) aus diesen vorwegnehmenden Vorhersehungen als Hochreligion inzwischen konkretisiert hat. Aus Ehrfurcht der Tradition gegenüber beziehungsweise aus der Einsicht, was damals befreiend wirkte, wirke auch heute noch so, bleibt man in der alten Grundstellung.

Was ist "Seele" wirklich? Nichts Statisches, nichts, was seit Buddhas Zeiten im Menschen gleichgeblieben ist, sondern ganz im Gegenteil etwas Dynamisches. Die Qualität und Sehnsucht der Seele ist nicht Ruhe, ataraxia, Nirwana: das Ruhen im "Gott des absoluten Nichts". Stünde es so, dann hätte Buddha recht; aber dies war nur die Interpretation seiner Seele, seines Kulturkreises, und darauf weist auch noch die heutige Statik jenes Kulturkreises in der Auffassung von Seele. "Seele" ist vielmehr ein kategorieller Vernetzungszustand von Kraft. Dieser Vernetzungszustand hat zwei grundsätzliche Formen, die Rezeption und die Reflexion. Je nachdem, auf welche dieser beiden Formen ein Kulturkreis setzt, setzen muß, weil es die Ausstattung seiner Angehörigen mit sich bringt, wird er das Wesen von "Seele" wie das Wesen des korrespondierenden "Gottes" entweder als Ruhe beziehungsweise Nichts oder als Aktivum und Sein erleben. Das Wesen des Westens ließe sich von daher als aktive Rezeption und Reflexion, das des Ostens als reagierende und passive Rezeption bestimmen.

Daß in beiden Lehren des Buddhismus wie des Christentums jene innerste Kraft gebunden ist, welche beiden Formen der Vernetzung zugrundeliegt, zeigt sich an ihrer Wirkung wie an ihrer Tragfähigkeit für jenen kategoriellen Abschnitt und dessen Offenheit, für welchen diese Lehren entstanden, und welchen sie als Religion vorwegnahmen. Zurecht heißt ja religio nichts anderes als Zurückbindung: in jeder Weltreligion werden von begabten Einzelnen das Ende der jeweiligen Kategoriestufe und deren Offenheit wie Relativität vorwegnehmend geschaut und in einer der jeweiligen Kategoriestufe entsprechenden Lehre eingebunden in einen Anfang und ein Ende, mit welchem jene dem menschlichen Bewußtsein unerträgliche Offenheit gehoben wird.(8)

Denn erst wenn diese offene Lücke des Bewußtseins an jedem Kategorierand geschlossen ist, vermag die lebendige Seele nicht nur des Lehrers, sondern vor allem der Nachdrängenden und Lernbereiten aus dem alten Vernetzungsbestand herauszutreten (also die alte Religion abzulegen) und jene neue Lehre, welche aus diesem Grund entsteht, weil eine neue Kategorie beziehungsweise Halbstufe der epigenetischen neuronalen Ausdifferenzierung erreicht ist und mit dieser korrespondiert, freudig begrüßen. "Seele" ist mithin keinerlei "an sich", weder etwas Stoffliches noch etwas Geistiges. Wenn man denn überhaupt diesen hergebrachten und zu Verwechslungen Anlaß gebenden Begriff bemühen will, so ist "Seele" ein bestimmter funktioneller Vernetzungsbestand innerhalb des Seienden, des Anorganischen wie des Lebendigen, sodaß man von hier aus durchaus zurecht sagen könnte, die ganze Natur ist "beseelt". Dies ist natürlich nicht pantheistisch gemeint; vielmehr ist "Seele" diejenige Sphäre – was in dieser allgemeinen Sagweise durchgehend durch die ganze Natur einschließlich des Menschen gilt –, in der sich die aktive/lebendige Kraft eines jeden Seienden mit seinen "neuesten", "obersten" Rezeptions-"Organen" (die gerade seinen Platz in der Reihe des Seienden bestimmen) für das andere Seiende verbindet. Dieses Verbinden hängt in der Weise mit dem Sein zusammen, daß alles Sein Verbindung, Kommunikation ist. Das bedeutet für den Menschen: "Seele" hat eine stoffliche Grundlage, ist als Seele aber weder stofflich noch geistig, sondern repräsentiert einen kategoriell variierenden Neuronenbereich in der Wechselwirkung von Rezeption und Reflexion, als welche sich jeder Mensch in seiner Ontogenese darstellt. In dieser phylo- wie ontogenetischen Wechselwirkung "migriert" jene Kraft, welche die Schichtung des Seiendem im Ganzen wirkt, im Zusammenspiel zwischen Anlage, Umweltwirkungen (Rezeption) und sich daraus ergebender Konzentration (Reflexion) in den jedem Individuum genetisch als Maximum vorgegebenen Neuronalbereich und bildet dort sein "Ich", seine "Seele". Die letzte Form dieser migratio läßt sich als "Nicht-Ich" in der Doppelreflexion des Ich-Ich bezeichnen.

Diese notwendige Folge der Auswicklung der Reflexion der Vernunft als Relativierung und "Selbstvernichtung" der Vernunft sehen beide Religionsstifter am Migrationspunkt von der ersten in die zweite Stufe mystisch (im Setzen auf diese lebendige Kraft "in nuce") voraus, dieser Folge wollen sie begegnen, sie auffangen und einbinden (religio). In beiden wirkt die "Seele" als konzentrierte Reflexion, die den Weg jener Reflexion durch die zweite Stufe nicht schrittweise geht (wie sodann der Westen), sondern das "Ergebnis" jenes Weges intuitiv vorwegnimmt: das Zurückschaudern vor der Leere, vor dem Nichts der Doppelreflexion, durch welche die menschliche Ratio auch noch als Vernunft relativiert wird, weil hinter jenem "Vermögen" nichts als das Nichts gefunden werden kann (der "Große Zweifel", das "Fasten in der Wüste", der "Edle Pfad").

Es ist, als sähe sich "einen Moment lang" in den Religionsstiftern diese "Kraft" im Augenblick des phylo- wie ontogenetischen Umschlagens von der Rezeption in die Reflexion selbst unvermischt, rein, ungetrübt von den menschlichen Vermögen; diese innerliche "Schau" aus dem rein existentiellen Aspekt erschließt das Wesen der Vernunft und zieht daraus die Konsequenz.

In diesem Vorgriff sehen beide Stifter das Leiden in der Welt, und sie sehen die Notwendigkeit wie das Umsonst dieses Leidens, das, evolutionär gesprochen, aus der Kategorieverschiedenheit des Seienden entspringt. Darauf reagieren sie einerseits parallel mit einer vergleichbaren Mitleidsethik, völlig entgegengesetzt jedoch in der Entelechie. Dieser letztere Unterschied ist begründet in der unterschiedlichen Erfahrung von "Seele", wiederum modern gesprochen: in einer unterschiedlichen Auffassung des Individuums, was sich mit dem westöstlichen Gegensatz wie dessen Herkunft deckt. Denn im zeitlich späteren Christus, dessen Lehre sich sofort mit griechischem Gedankengut durchsetzte (Paulus), wird sich die Seele als Reflexion ihrer Kraft bewußt, die sich im und am Seienden bewährt, weil es dieses reale Seiende ist, durch das allein der Weg zum Heil der Seele führt. Die Nichtigkeit alles Seienden wird nicht als das absolute Nichts gesehen, die Seele stürzt nicht vor dem absoluten Nichts zusammen, sondern in der Nichts-Würdigkeit alles Seienden demgegenüber, das allein "Sein" hat und Alles ist ("Gott"). Hier das Griechische, denn hier liegt ganz anders als bei Buddha ein (der Reflexion angehöriger) Wert-Gedanke am Grunde, der Gott zu Alles und das Seiende als stufenhafte Privatio des wahren Seins Gottes wertet. Dieser griechische Gedanke liegt selbst noch Hegels dialektischer Identitätsphilosophie zugrunde. Das absolute Nichts taucht dabei überhaupt nicht auf (s. Parmenides).

Anders beim zeitlich und damit in der Reflexionsauswicklung früheren Buddha, der insoweit an die mit ihm etwa gleichzeitigen griechischen Sophisten erinnert: ihm verwandelt sich in der Wesensschau der Vernunft alles Seiende in bloßen Schein, sodaß es zu jener Umkehrung der Perspektive kommt, die auch Nishitani noch verficht, daß das wahre Sein nur im absoluten Nichts gefunden werden kann, sodaß dieses Nichts schließlich als Ursprung des bloß Seienden als Schein reklamiert werden kann, welch Seiendes am "wahren Sein" nicht teilhabe. Hier liegt eine Überziehung der Reflexion der Vernunft selbst zugrunde, die sich als Reflexion wichtiger nimmt, als ihr als bloße Funktion innerhalb des Seienden zukommt. Dieses Scheinurteil fällt weniger aus der lebendigen Innerlichkeit als aus fehlerhafter "Wesens"-Metaphysik der Vernunft; die Innerlichkeit resigniert vor der Vernunft statt sie sich zu unterwerfen.

Dieser Unterschied in der Stellung zwischen Innerlichkeit und Reflexion bestimmt die jeweilige Entelechie, denn das endgültige Heil der Seele und das Nirwana sind keineswegs identisch. Zunächst ist schon die diesseitige Aktivität zu jenem "Ziele" hin verschieden: im Christentum ist die Mitleidsethik nur der eine Teil des Handelns; den wichtigeren Bereich der individuellen Aktivität könnte man umschreiben als "innerliches Anwachsen in der Wahrheit". Entgegengesetzt kommt es im Buddhismus für das Ausscheiden aus dem Kreislauf der im Schein verharrenden Wiedergeburten darauf an, keinen ethischen Fehler zu begehen, um dem Karma zu entkommen (!) – die Welt des Scheins ist immer auch eine zu fliehende. So liegt konsequenterweise das "Heil" des Nirwana in der ewigen Ruhe des absoluten Nichts, welches "eigentliche Sein" dann letztlich auch keinerlei Verbindung zum Seienden mehr hat – so gesehen ist auch dies noch ein duales System ohne direkten inneren Zusammenhang.

Ganz anders im Christentum, wo das Heil als Heiliges immer zusammengebracht wird mit Bildern, die ein Übermaß an Freude ausdrücken, dasjenige Augustum, das sich mit der konzentriertesten Bewährung von Kraft verbindet (welche Bewährung die Menschen in ihrer emotionalen beziehungsweise rationalen Form tagtäglich als ("Selbst"-)Bestätigung zu erlangen suchen). Dieses Heilige hat eine ganz andere Qualität als das buddhistische, denn es geht nicht auf die höchste Ruhe, sondern auf das höchste Feuer aus (s. etwa Pascal(9)). Das Erreichen des Heiligen ist hier ein freudig-feuriges Um- und Einschmelzen, die innerste Kraft als lebendige wird sich ihres lodernden Ursprunges bewußt. Dieser Kontakt ist es, der das Bewußtsein umzuschmelzen und umzustellen vermag – und darum geht es auch Nishitani, wenn er auf die "Gesamtpersönlichkeit" abzielt als das "wahre Selbst" im Gegensatz zum personhaften Ego.

Doch was ist das wahre Selbst, womit ist diese Begriffsschale inhaltlich gefüllt? Die wahrhafte Gesamtpersönlichkeit ist als Gesamtbewußtsein ein Anderes im Verhältnis zu allen anderen bereits vorhandenen Ego-Formen herauf vom Instinkt über Emotio und Ratio bis zur Doppelreflexion. Dies alles ist sie nicht, sondern sie ordnet diese Funktionen im Wege des Selbstwerdens sich zu und ein, indem durch alle diese Formen des Menschseins jenes wahre Selbst hindurchleuchtet, durchklingt (per-sonare), und so das Individuum zur wahren Person erst macht. Damit ist zwar das Verhältnis zu jenen vor dem wahren Selbst liegenden Funktionen geklärt, die im Normalfall den Durchbruch zum Selbst dadurch verhindern, daß sich eine dieser Funktionen in Verbindung mit der lebendigen Existenzialität als Ego setzt, und dies entspricht gerade der hier vertretenen kategoriellen Auffassung der menschlichen Vermögen Verstand und Vernunft; nicht geklärt ist damit aber nach wie vor, was dieses Selbst an sich sei, wie konkret der Zusammenstoß und der Durchbruch zu denken sei, sowie, was jenes Selbst nach dem Durchbruch beinhalte beziehungsweise "wo" jenes Selbst innerhalb jener "neuen Person" angesiedelt sei.

a) Der Weg zu jenem Durchbruch sei der "Große Zweifel" – doch dieser ist inzwischen der Mystik beziehungsweise der Religion entrissen, er gehört mittlerweile zu jenen anderen Funktionen und mithin zum Ego in Form des Ich-Ich, in dem sich immer noch dieses Ego selbst setzt als Verzweiflung in der Doppelreflexion. Anders ausgedrückt: das "omnia dubitare" in Verbindung mit dem "cogito ergo sum" ist Methode und Weg der Reflexion der Vernunft selbst, die eigene Leerheit zu erkennen – und sich dennoch als verzweifelte Vernunft festzuhalten, entweder wie Sartre im Setzen auf das Nihil oder wie Heidegger in der Annahme dieser Verzweiflung durch die Vernunft selbst, um als Vernunft in deren Ek-Sistenz die lichtende Ankunft des Seins zu erwarten ...

Mithin, dieser Weg, der "Große Zweifel", gehört inzwischen in die Verfügbarkeit des Ego, dieser Weg führt heute nicht mehr weg von jenem Ego, sondern er ist ein Mittel geworden, jenes Ego halten zu dürfen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es die Ausstattung des Individuums mit sich bringt, daß die "Seele", die lebendige Betroffenheitssphäre, ihre Verbindung mit der Vernunft am oberen Rand der Vernunftkategorie unter keinen Umständen lösen kann und will; wenn das Individuum eher das Nichts will oder die Verzweiflung wählt, als den Versuch zur Transzendenz zu unternehmen.

b) Der Durchbruch selbst erfolge im Zusammenstoß mit dem absoluten Nichts, nachdem der "Große Zweifel" erfolgreich durchlaufen sei, indem sich die existentielle Sphäre des Individuums aus allen funktionalen Kategorien herausreflektiert hat und in sich selbst nur noch Einen konzentrierten "Willen" kennt. Wille nicht als Wille des Ego, das noch von einem Eigenwillen dieses Ego Bewußtsein hätte und damit immer noch als Ego wollen würde und sich folglich gar nicht loslassen könnte; Wille vielmehr als die in Eines konzentrierte Lebendigkeit selbst. Das Ziel dieses drängenden Einen ist, über alle permigrierten Vorformen des Ego hinaus zu transzendieren, um das neue und wahre Selbst zu gewinnen, das in keiner der funktionalen Ego-Formen enthalten sein kann, weil es dadurch auf konditionierte Beschränkungen des Seienden verwiesen würde. Der "Große Zweifel" führt zu jener Verzweiflung des Ego, die das Ego nichtet und in eine ausgestreckte Hand verwandelt, die von einem unbekannten Pendant das Selbst zu erhalten trachtet.

Dieses Pendant ist nach Nishitani das absolute Nichts. Das Sein, die essentia des absoluten Nichts, kann notwendig in keinerlei Begriffshülle gefaßt werden, sonst wäre es nicht das absolute Nichts; es entzieht sich jeder Denk- und Sagbarkeit, es kann nur "er-lebt" werden. So würde an dieser Stelle alles Sagen ein Ende haben müssen, doch Nishitani macht weiter viele Worte und Mystik um dies absolute Nichts herum, ohne es doch auch nur ein Gran mit Bedeutung füllen zu können. Denn auch er muß dies gerade mit demjenigen Bewußtsein und derjenigen Funktion tun, der Vernunft, der sich jenes notwendig entzieht. Und er muß dafür das Beispiel derjenigen heranziehen, denen ein solcher Kontakt gelungen scheint und die stammelnd darüber berichten, wie ihr funktionales Bewußtsein das Erlebte wiederzugeben vermag.

Nicht umsonst wird als ein Hauptzeuge Eckehart angeführt. Sowohl aber in der christlichen wie auch in der islamischen Mystik bekommt jenes "Kontakt-Medium" niemals jene rein negative Färbung des absoluten Nichts, wie sie Nishitani im Gefolge Buddhas fordert: Wenn Eckehart von der Gottheit als Nichts spricht, so ist dies ein Gleichnis, wie er an anderer Stelle das Sonnen-Gleichnis verwendet. Die Nichts-Qualität der Gottheit ist hier ganz anders geartet als das absolute Nichts des Buddha; es ist gemeint das reine Bei-Sich-Sein Gottes, der deshalb nicht einmal mehr Gott genannt werden kann, weil auch noch dies ein Zuviel an Form wäre, das in der Singularität Gottes nicht enthalten sein kann.

Indem sich Eckehart begrifflich dieser Singularität anzunähern sucht, muß er, soweit dies sprachlich überhaupt noch möglich ist, alles, was Begriff und Form ist, abstreifen, um auf den reinen Erlebensgehalt seiner Innerlichkeit zu stoßen und das Unsagbare dennoch sichtbar zu machen. Dies ist aber nur möglich im Wege des Gleichnisses und der Negation, denn der Begriff, der notwendig das Gleichnis begleitet, kann nur im Wege der Abstraktion eine ansteigende "Reinheit" anzeigen – Abstraktion aber ist identisch mit Negation: ein sich steigerndes Weglassen des Individuellen, wo es um die Beschreibung des "Wesens" geht. Die höchste Form der Abstraktion und damit die höchste "Reinheit" der Aussage wird erreicht mit dem Sein der Gottheit als Nichts, weil ihr nur so keinerlei unstatthafte Bewußtseinsinhalte des Menschen mehr anhaften, und weil nur in diesem unsagbaren Nichts jener "Gottesgrund" gefunden werden kann, in welchem die transzendierende Lebendigkeit des Menschen und die Gottheit in Eins werden.

Für den Westen und wohl auch für Eckehart gehört der Zusammenstoß mit dem Nichts nicht zum Durchbruch selbst, ist nicht dessen Ziel, sondern das Nichts ist hier die letzte "Station" vor dem Durchbruch; es ließe sich sagen, in der Erkenntnis dieses Nichts liegt das Maximum der Verzweiflung, an welcher Stelle nur noch die Gottheit helfen kann, nicht aber das Nichts! Dieses westlich gedachte Nichts bedeutet das existentielle Sich-Einlassen auf die Nichts-Würdigkeit alles Seienden einschließlich des eigenen Weges bis hin und einschließlich dieser Erkenntnis der Nichtswürdigkeit: erst dann wird das Individuum zu Nichts, es erstirbt sich selbst und gibt dadurch der Gottheit Raum, um von jener aufgefangen zu werden.

Diese "Geburt des Sohnes" (Eckehart) führt jedoch nicht zur Abkehr vom Seienden, sondern im Gegenteil zur aktiven Hinwendung, um das Seiende nach seiner Möglichkeit am lebendigen Gott teilhaben zu lassen! Die Aktivität des westlichen Gottes und die Passivität des östlichen Nirwana spiegeln den Unterschied der Mentalität auf der numinosen Ebene: Ist es im Westen die Aktivität Gottes und seine Gnade, die den Menschen zu ihm zieht und so zu eigener Aktivität im Leben befreit, so wird im Osten der Mensch nach dem eigenen Großen Zweifel durch den Zu-Fall des Satori erleuchtet, in dem in seiner eigenen Erkenntnis das Nirwana als Seinsverfaßtheit aufscheint, um in der Flucht zu diesem Nirwana hin frei zu werden.

c) Zur Art und Weise des Durchbruchs, des Sprunges selbst läßt Nishitani wenig hören, vor allem nichts aus eigener Erfahrung; vielmehr zitiert er lediglich die Texte der budhhistischen Tradition bis hin zum Zen. Das Satori wird beschrieben als "der Augenblick", als ein "neues Aufgehen der Augen" – analogisiert heißt das: als schlagartige Umstellung innerhalb des Individuums, als unvorhersehbare und unbeeinflußbare Wandlung, die in einer Bewegung die lebendige Innerlichkeit im Kontakt mit dem "Nirwana" "in das wahre Selbst" versetzt und das Individuum nun die Welt vom "wahren Selbst" her sehen läßt. Durch diesen Kontakt mit dem absoluten Nichts werde also der Mensch zum wahren Selbst und gewinne eigentliche Realität. Wie ließe sich dies verstehen?

Die Ent-Individualisierung kann in dieser Bewegung nicht gemeint sein, denn als negierende Vorbereitungshandlung findet sie bereits mittels des "Großen Zweifels" statt. Folglich kann hier nur das positive Verschmelzen angesprochen sein durch den woher und wie immer gegebenen Durchbruch ("das Auffliegen des Vogels", "der Klang einer Glocke"), in dem sich die "Seele" mit dem als "wahre Realität" je und je umgebenden Nichts vereinigt. Offenbar genügt seitens des Menschen jene Bereitstellungshandlung des Großen Zweifels als Sich-Öffnen und Offenhalten, um im "gegebenen Moment" als Satori die Realität des Nichts einfließen zu lassen, das alle Funktionen des Ego durchfließt und die persona zu einer Gesamtpersönlichkeit ausbildet. Es bleibt hier alles im Mystischen und Unangebbaren, es gibt keinen auch nur irgendwie auf den Begriff zu bringenden Grund (als Basis und Ursache), keine auch nur irgendwie anzudeutende Verbindung zwischen Nichts und Individuum, welche beide in ein Verhältnis zueinander stellen würde, wie es etwa die Gnade ziwschen Gott und Mensch tut. Der Durchbruch, der Augenblick, er kommt, oder er kommt nicht, es ist allein Sache des absoluten Nichts, demgegenüber es nichts als bedingungsloses Warten gibt.

Diesem Sachverhalt entspricht in der Denkweise Nishitanis, daß er in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen auf Hegelsche Art und Weise argumentiert. Überall "handeln" die Begriffe, "geschieht" etwas, "wird" etwas, alles so, als ob hier ein völlig selbstverständliches Ineinandergreifen von altbekannten Abläufen "geschähe" – ohne auch nur einmal nach eventuell zugrundeliegenden Faktoren zu fragen: Jene berühmte hölzerne Automatik, wie sie Kierkegaard an Hegel schilt, sie überstrapaziert Nishitani, obwohl er Kierkegaard kennt. Jenes abolute Nichts, es ist so kalt wie es absolut ist, und die daraus entspringende Mitleidsethik, die sich Liebe nennt, sie erkältet die westliche Innerlichkeit. Gegen diese Art Abspannung wehrt sie sich, genügt ihr doch schon diejenige Erkältung, die sie sich in der Erkenntnis der tagtäglichen Scheinnatur der realen Immanenz zuzieht. Diese gilt es ihr nicht ins Nichts endgültig zu verflüchtigen, sondern deren "Schein" in gehöriger Weise mit dem "Sein" zu verbinden.

d) Das "wahre Selbst" sei die Affirmation des Selbst im absoluten Nichts, das dadurch wahre Realität gewinne und in der Durchdringung der Funktionen des Ego auch diesem wahre Realität verleihe. Die Gründung des Selbst wird hier in zum westlichen Denken entgegengesetzter Richtung gesucht, nach "hinten", im "Grunde", Ursprung des Allwaltenden Nichts. So ist für das östliche Denken konsequenterweise die Bewährung dieses "realen Selbst" in der Schein-Realität des Diesseits mitsamt der Durchdringung der Schein-Funktionen des Ego (Instinkt bis Vernunft) nur eine Nebensache, welche allein dadurch eine gewisse Bedeutung bekommt, als sie Bedingung des eigentlichen Zieles ist, in der Ruhe des absuloten Nichts aufzugehen. Ein solches "wahres Selbst" hat, wie sich rein faktisch nachrechnen läßt, schon deshalb Passivität am Grunde, weil man umso weniger Fehler (im Aufeinanderprallen der Ego-Funktionen) begehen kann, je weniger man diese Funktionen in der Schein-Realität benutzt.

Diese Kritik mag zunächst vordergründig aussehen, andrerseits ist sie insofern im Hinblick auf den Buddhismus immer aktuell, weil dieser von der Grundauffassung des Scheins ausgeht, an seinem Ausgangspunkt die Skepsis des Sophismus steht, dem alles Seiende in Schein zerfließt, und hinter welchem erst das Sein anzutreffen sei. Es ist immer noch die alte Statik und falsche rückwärtsgerichtete Optik, in die zunächst auch die Griechen bei der Auswicklung der Metaphysik hineinfielen (s.a. die Anklänge an Platons Ideenlehre).

Was "leistet" jenes östliche "wahre Selbst", das auf der "Realität des absoluten Nichts" gründet und von daher die Funktionen des Ego "realisiert"? Dient in dieser Konstruktion nicht noch gerade die höchste Form des Menschseins als Einung mit dem Nichts nichts anderem als jenem Individuum, das sich geeint hat? Daß es selbst ausscheide aus der Schein-Realität in die wahre Realität, für sich selbst?! Ist das nicht die höchste Form der Egozentrik? Zwar hat man für alles andere Seiende einschließlich der Menschheit die Mitleidsethik übrig, die Anweisung für diesseitiges Vermeiden von Leben und dessen Scheinfunktionalität, sich selbst aber rettet man ins "wahre Selbst" des Nichts ... Mit-Leid(en) und Liebe sind eben etwas sehr Verschiedenes.

Daher gibt es im Buddhismus auch nicht den Begriff des Opfers im Sinne des Sich-Opferns: ein solches würde keinen Sinn machen, denn weder einer Schein-Realität noch dem Nichts kann man sich aufopfern. Vielmehr opfert man im Großen Zweifel und in der Mitleidsethik das Leben selbst der eigenen Seele und deren "Heil" auf, damit jene ins Nirwana eingehe. Hier wird nicht aktiv das "Kreuz auf sich genommen", um dem Leiden einen Sinn abzugewinnen, sondern skeptische Sophistik entsagt dem Leben, um dem Leiden zu entgehen.

Hingegen zielt der (westliche) Wille zur Transzendenz nicht auf das Individuum, nicht auf ein "wahres Selbst" als ruhende Autarkie im Nichts, sondern auf einen Beitrag innerhalb des Seienden, um den Sinn des Seins zu offenbaren. Der unterschiedlichen Aktivität und innerlichen Weise der Liebe entspricht auch ein anderer "Ort" des "wahren" Selbst im Individuum. Die Liebe zu Gott ist westlich gesehen gleichbedeutend mit der Liebe zum Nächsten, eine umfassende und emporreißende Liebe, ein Höher, das in der Realität über die Scheinhaftigkeit der Ego-Funktionen hinaus will und alles Mitseiende in diesem gleichen Bezug zum Gott sieht und dahinbringen will. Diese Gottesliebe fordert den Menschen zur Leistung im Diesseits und stimmt so mit den objektiv beobachtbaren Abläufen des Seienden, wie es bis zu uns selbst als Menschen hin geführt hat, im Antrieb zur Steigerung zusammen, indem es Aktivität für und innerhalb des Diesseits freisetzt, anstatt dieses zu fliehen.

Das buddhistische Selbst, das sich durch den Kontakt mit dem absoluten Nichts realisiert, bildet quasi die Zentrale der als Nichts selbstgewordenen persona; andrerseits kann das absolute Nichts unmöglich selbst Teil dieser persona geworden sein, sonst wäre es nicht das absolute Nichts. Es handelt sich offenbar um eine mystische Bebilderung, die aber, anders als etwa Eckehart, eine einseitige Konsequenz gezogen hat, indem das Seiende als das Unreale erkannt sein soll. Denn unter dieser Voraussetzung ist es gar nicht mehr notwendig, daß jenes reale absolute Nichts Teil des unrealen Seienden wird; vielmehr handelt es sich bei jenem Kontakt offenbar nur um eine "Einformung" des absoluten Nichts, in welcher sich das unreal Seiende der erlebten Erkenntnis des realen absoluten Nichts unterwirft und sein unreal seiendes Person-Sein von diesem Nichts her überformen läßt und von daher in der Unrealität mittels dieser Überformung einen Bezug zu jener Realität erhält, der vollgültig erst eingelöst wird mit dem Ausscheiden aus dem Kreislauf des unreal Seienden.

Im übrigen wäre es auch höchst lächerlich zu behaupten, das absolute Nichts realisiere sich innerhalb der unrealen Scheinwelt – das wäre ein merkwürdiges Nichts, das sich mit "Etwas" zu verbinden wüßte, und gar noch mit einem Schein! Das absolute Nichts, jenes, das nicht nur westlich als Gegensatz zum Sein gedacht wird, bedarf dennoch zu seiner eigenen Realisation als absolutes Nichts notwendig des Seienden, das im Erleben mit ihm zusammenstößt, da es ohne diese Realisation in all seiner Absolutheit höchst überflüssig wäre! Mithin, das Nichts selbst kann nicht identisch mit dem Selbst sein, es kann nicht als solches in der Scheinwelt des Unrealen existieren, denn das Nichts kann nicht in "Etwas" sein, es kann sich in keiner Weise mit "etwas" zusammenfügen, weil dazu die Aufeinanderbezogenheit von Verschiedenem beziehungsweise Gleichen sowie die Begrenzung des jeweils Einen, das sich zum anderen fügt, gehört.

Nun sagt wohl Nishitani, daß am Urgrund, im Ursprung jenes Selbst das abolute Nichts "aufleuchte", aufleuchte nicht als Gedanke der Vernunft, sondern als Erlebtes, erlebt nicht in einer der Ich seienden Funktionen vom Instinkt bis zur Doppelreflexion, sondern erlebt im und wohl auch als Urgrund. Will sagen, erst in diesem Kontakt öffnet sich der Urgrund der persona als solcher. Dies ist letztlich identisch damit, was hier als "Sphäre der lebendigen Innerlichkeit" bezeichnet wird, und doch bestehen dabei wieder jene Gegensätze, und zwar in der Sehweise der funktionalen Gegebenheiten, die letztlich zu jenem west-östlichen Gegensatz in der Auffassung des Nichts führen. Denn Nishitani sucht jenen "Punkt", den Urgrund "unter" den Person-Funktionen, hier wird er über jenen gesehen. Es stehen sich also gegenüber die östliche Transzendenz nach "unten-hinten" zu jenem (statischen) Nichts hin, aus dem her schon immer alles Seiende hervorbreche und zu dem es hinstrebe, und jene westliche Transzendenz nach "vorne-oben", wo jene "Lebendigkeit" als Urgrund der Person nicht statisch "unten" verbleibt, sondern wo sich jener Urgrund selbst, dort, wo er lebendig ist, durch die Funktionen heraufgearbeitet hat, auf diesem Weg seine Qualität verändert und die jeweilige "lebendige Spitze" der persona ausmacht. In der Transzendenz der Funktionsspitze will sich das Selbst, heute in verzweifelter Doppelreflexion, in neuer Weise realisieren, um im Finden des Gegenübers dieses Tanszendierens das wahre Selbst in einem Höher neu zu gründen und von da aus die Personfunktionen neu einzubinden. In dieser westlichen Transzendenz bringt sich Neues in der Welt des Seienden hervor, indem es sich als wahres Selbst an der Phylogenesespitze mit demjenigen Höher setzt, das sich für das Seiende in der Auseinandersetzung mit ihm als das Höher erweist, das ihm fehlt und not tut: eine neue Stufe des Offenen in Richtung auf Erhöhung von Bewußtsein und Kommunikation.

Entgegengesetzt will in der Transzendenz Buddhas das unreal Seiende in immer gleicher Weise seit Bestehen der Welt seinen eigentlichen Realitäts- und Ruheort im sich immer gleichbleibenden absoluten Nichts finden. Daß die Phänomene der seienden Welt mit der östlichen Transzendenz nichts gemein haben können, liegt auf der Hand: Handelt es sich doch nur um Schein-Phänomene, die für das wahre Selbst und Sein völlig ohne Belang sind. Daher ist es klar, daß im Osten auf der wissenden Ergründung des Seienden nie solch ein Nachdruck zu liegen kam wie im Westen; die "unreale" Schichtung des Seienden bis hin zum Menschen interessiert hier einfach nicht, es genügt, wenn man sie mythisch-mystisch "versteht" – einen bedeutsamen Inhalt kann dieser Schein jedoch nicht haben, denn die Bedeutung liegt allein im absoluten Nichts. Dieses Nichts erscheint in westlichen Augen als metaphysische Hinterwelt, die verhindert, daß der östliche Mensch auf die Welt des Seienden einschließlich deren Geschichte in gehöriger Weise aufmerksam werden kann. Er stößt mit jener Hinterwelt nicht auf das griechische "gnoti se auton", den Ausgangspunkt des westlichen Denkens, sondern er überspringt diesen Schein des auton/Selbst direkt ins Nichts, ins Nicht-Selbst.

III. Singularität, Nichts und "Feld der Leere"

"Am Anfang war die Kraft": Formen der Kraft im Seienden sind etwa die Atomkräfte, die elektrische Energie und auch noch der menschliche Geist – die Qualität der Kraft steigert sich durch die Reihe des Seienden. Andrerseits ist weder das Seiende noch die Kraft im Seienden "Gott" selbst. Darin steckt ein Problem der Funktion Sprache als Verstand, dieses Verhältnis zwischen "Gott" und Kraft ins rechte Bild zu bringen; denn "Gott" ist einerseits nicht noch einmal neben dieser Welt (wie etwa das Nichts Nishitanis), andrerseits "ist" er nicht die Kraft, sondern jene Kraft ist "göttlich", d.h., sie weist auf ihren Ur-Sprung als "in Gott". Hier muß in rechter Weise an Eckeharts "Einsheit" angeknüpft werden, und zwar gerade von der anderen Seite her, als Nishitani tut. Zwar kann auch Eckehart sagen: "Gott ist als Gottheit das Nichts." Denn solange "Gott" noch irgendwelche Bestimmungen angehängt werden, etwa diejenige der Kraft, so geschieht diese angebliche Bestimmung erstens mit einem gegenüber der Gottheit eingeschränkten Bewußtsein, wozu es mithin gar nicht in der Lage sein kann; und zweitens wird durch die Identifikation mit einer Bestimmung "Gott" in seiner "Gott-Heit" gerade nicht erreicht, sondern verfehlt. Selbst noch eine Beschreibung "Gottes" als "Alles" wäre eine solche verkennende Bestimmung (und im übrigen falscher Pantheismus): Das, was "Gott" als "Gott-Heit" ausmacht, kann nur im Nichts ausgedrückt werden – und damit in Wirklichkeit überhaupt nicht.

Die Bestimmung "Gottes" als Singularität der Kraft ist mithin eine ebenso verkennende Bestimmung – aber dies will ein solches Sagen auch gar nicht ausdrücken, vielmehr wird damit nur die "Richtung" angegeben, in welche und als welches sich das Göttliche im Seienden offenbart! Diese Auffassung steht im diametralen Gegensatz zum Nichts Buddhas, das im Zeitlichen selbst gar nichts aus sich offenbart, sondern lediglich zu dem Zwecke im einzelnen Seienden bewußt und damit offenbar wird, um dem Seienden zu entfliehen.

In der Wahrnehmung dieses Gegensatzes der Aktivität/Kraft zwischen West und Ost greift Nishitani zu dem Taschenspielertrick, die westlichen Anschauungen als "szientistisch" zu denunzieren; denn indem man solches tut, schmuggelt man ganz unvermerkt eine Akzeption der "Tatsache" mit ein, daß es ganz selbstverständlich zumindest noch eine andere Möglichkeit der Auffassung gebe, welche von der szientistischen Methode qualitativ verschieden, und nach Nishitanis Meinung in Bezug auf die "letzten Dinge" wie Nihil und "Leere" überlegen sei, "tiefer" hinabreiche. Dieses Hereinschmuggeln einer anderen Auffassungsqualität geschieht so selbstverständlich, daß sie nicht hinterfragt beziehungsweise geschildert wird, worin sie denn eigentlich bestehe. Das einzig hierzu geäußerte Wort ist jenes "Erleben" nach dem "Großen Zweifel", also das Satori, wie es etwa im Zen beschrieben wird.

Es wird weder kundgetan, wie das Nihil und die Leere dem "szientistischen" Bewußtsein einleuchten, wo die Vernunft jenes Wissen hernimmt, über das Nishitani ein ganzes Buch schreibt, noch was das Denken selbst sei, mit welchem Denken die wenigen "Erleuchtungstatsachen" von Nishitani auf über 400 Seiten ausgebreitet werden. Sicher, er bemüht den westlichen Begriff des Transzendierens, aber dieses Wort beinhaltet nicht mehr als eine Bewegung, sagt die Bemühung um ein Darüberhinaus aus.

Ohne uns den Vorgang nun so vor Augen zu stellen, daß auch wir neugierigen Westler ihn zumindest nachzuvollziehen versuchen können, behauptet Nishitani, daß durch jene erleuchtende Transzendenz das "wahre Selbst" zu jeder Zeit, an jedem Ort und von jedem Menschen in gleicher Weise beim Zusammenstoß mit dem absoluten Nichts im "Feld der Leere" erlangt werden könne. Dabei hält er dies mystische Erleben und Anschauen für die wertvollere und richtigere Qualität. Darüber ließe sich vielleicht reden, wenn sich auf solchem Weg das "wahre Selbst" zu jeder Zeit gründen ließe – er selbst jedoch bringt uns diese "Wahrheit" in Wirklichkeit nicht mystisch aus seinem eigenen Erleben nahe, nein, vielmehr muß er dazu Zeugen bemühen, an denen er die mystische Transzendenz studierte, studierte wie anders als mit szientistischen Mitteln? Alles, was er äußert, sind szientistische Konstrukte einer Thematik, die, wenn überhaupt, nur mystisch erfahren werden können, und die wahrhaft nur aus dem Nachbebildern eines eigenen Erlebens "szientistisch" geschildert werden können – nicht aber aus zweiter Hand! Dies aber scheint bei Nishitani der Fall – umso merkwürdiger wirkt die Ablehnung der "westlichen" szientistischen Methode: mit welchem Vermögen vermag uns Nishitani etwas zu sagen, wenn nicht mit Verstand und Vernunft?

Im übrigen wäre es auch aus einem weiteren Grund seltsam, wenn er uns aus eigenem Erleben eine wahrhafte und innerhalb der Vernunftkategorie weiterführende "Erleuchtung" vorbringen könnte, weil in unserer heutigen Stellung die kategoriellen Bedingungen für einen mystischen Vorgriff als Transzendenz der bestehenden Kategorie gar nicht gegeben sein können, weil wir selbst an deren Ende stehen. Soweit jedoch ein Heutiger, der etwa die Vernunftkategorie individuell nicht ausdifferenziert hat, für sich selbst so etwas wie einen "mystischen Vorgriff" an den Rand dieser Kategorie erleben sollte (was in der Wiederholung der Phylogenese durch die Ontogenese durchaus möglich ist), so wirkt er nur noch komisch, verspätet und esoterisch, behaftet mit einer idée fix, insofern die Stadien dieses Weges bereits dem "Szientismus" angehören, dem Traditionsbestand der Reflexion der Vernunft.

Doch nicht nur gegenüber dem Weg zum "wahren Selbst" sind Bedenken anzumelden, sondern auch daran, was denn "wahres Selbst" eigentlich heiße. Nishitanis Verwendung des Begriffes erinnert entfernt an den "intellegiblen Charakter" Kants, an eine bestimmte Prädestination dieses Selbst als Selbst. Denn dieses eigentliche Selbst soll mit all seinen Funktionen rein gar nichts zu tun haben, sondern erst in der Negation all dieser Funktionen kann das Selbst zu seinem "wahren Selbst" finden – dann muß dieses Selbst aber bereits und immer vorhanden sein, direkt "unter den Füßen" des Individuums "liegen", es ist nur vorläufig nicht sichtbar.

Dieses Selbst muß dabei ein statisches und sich immer gleiches sein, es kann mit der Individualität, die sich womöglich aus den Funktionen ergäbe, nichts zu tun haben. So gesehen hätte denn jeder Mensch das gleiche Selbst, und dieses Selbst kein Werden, sondern ausschließlich ein Sein. Dies ist eine notwendige Folge der Negation, welche der eigentliche Weg zum "wahren Selbst" im "Feld der Leere" sein soll: "Nicht-Feuer" beschreibe eher die wahre Feuer-Natur als "Feuer", will heißen, die Negation treffe in der Leere des Abgrunds des Nichts das wahre Wesen näher als der Substanzbegriff. Es ist dies ein Umkehrschluß, wie sich der Mensch im Sagen allein der Gottheit annähern kann: als absolutes Nichts der Gottheit für sich selbst, wo sie nicht einmal mehr Gott genannt werden kann (Eckehart). Ebenso verhält es sich nach Nishitani für den Menschen: Wenn das "wahre Wesen Gottes" die absolute Negation als Nichts ist, so muß das "wahre Wesen" des Menschen gerade in der Negation des unreal Seienden gefunden werden können: "Nicht-Mensch" sage so gesehen dann mehr über das "wahre" Wesen des Menschen aus als "Mensch". Denn um die "wahre Washeit" der Dinge wie des Menschen auszudrücken, müssen alle Bestimmungen, die aus der Seiendheit stammen, negiert werden, weil es, ebenso wie bei der Erfahrung Gottes, Bestimmungen unseres Bewußtseins seien, die wir damit in uns wie in die Dinge hineintragen, und sie eben damit nicht in ihrer "Washeit" antreffen (Kant hätte gesagt: das "Ding an sich").

Viel eher noch träfen wir in unserem rationalen Versuch die Bestimmung von Dingen und Mensch, wenn wir in deren Begriff ihre Negation gleichursprünglich mitaufnähmen, sodaß der Mensch noch eher als Nicht-Mensch begriffen werden könnte denn als Mensch; die Einheit des Begriffspaares Mensch-Nichtmensch stelle sich erst im Feld der Leere her, das das Gegenstück zum aboluten Nichts Gottes bildet, denn nur in einem solch "absoluten Entleerten" könne sich das ganzheitliche "Ur-Faktum" "Mensch-Nichtmensch" öffnen. Versucht man diese Auffassung "westlich"-"szientistisch" zu analogisieren, so fällt bei diesem Verfahren eine Ähnlichkeit zu Spinoza auf: es geht um das "wahre Selbst" als das Wesen des Seienden in einer Weise, welche die vorhandenen und als szientistisch zum Seienden gehörenden Erkenntnisweisen (Verstand, Vernunft) transzendiert. Zu diesem Zwecke müssen alle aus den seienden Erkenntnisweisen stammenden Bestimmungen negiert werden, was insofern ein weiterer Abstraktionsschritt (wie derjenige der Vernunft selbst) ist, als die erste Abstraktion vom einzelnen Ding auf das Wesen schließt, welches aber als Vernunfterkenntnis selbst noch seiender Natur sei (und wo der Grieche das "wahre Sein" ansetzte). Daher müsse im zweiten Schritt auch noch dies Wesen der ersten Abstraktion, welche selbst Negation des Zufälligen war, negiert werden.

Das "Feld" dieses "wahren Selbst" aller Dinge kann jedoch nicht das absolute Nichts sein, denn das ist Gottes Feld, Gott selbst. Und die Qualität des Seienden wie dessen "wahres Selbst" ist eine ganz andere als die absolute Negativität Gottes, denn das Seiende wird in das Nihil zerstreut, in die Ewigkeit des absoluten Nichts, das Gott selbst ist. Diese "Washeit" muß daher im Zusammenstoß mit dem absoluten Nichts (Gott) in einem anderen Feld aufleuchten, der Leere. Da zunächst der Abgrund des Seienden das Nichts (Gott) ist, so ist das auffangende Feld für den Menschen, der sich in diesem Zusammenstoß genichtet hat (Nicht-Mensch), die Leere: alle Dinge seien hier bar jedes Bestimmungsgrundes, entleert. Und so könne in diesem Feld der Leere für den Menschen, in jener weder örtlich noch zeitlich festzumachenden Entleerung, das "wahre eigene Selbst" wie das wahre Wesen aller anderen Dinge in ihrer Ganzheit "erfahren" werden. Die Identität von rationaler Bestimmung und ihrer Negation im Felde der Leere sei das "Urfaktum"; jenes Feld sei aber nun nicht eine andere, etwa intellegible Welt der Ideen, sondern sie sei vielmehr die einzig reale Welt und daher jene absolute Dies-Seite, wo alle Dinge als solche entsprängen, die ineins mit Leere sind. Näher an Kant ausgedrückt: Offenbar soll im Feld der Leere der Mensch sich wie alle Dinge in jenem Urfaktum als "Dinge an sich" erlebend erkennen, indem die Differenz zwischen Seiendheit und Sein damit aufgehoben werde, wenn etwa der Mensch sich als die Identität von Mensch-Nichtmensch erkenne.

Wenn "wahres Sein" sich allen Dingen nur im "Feld der Leere" mitteilt, so hat dies eine merkwürdige Konsequenz: Das Erlangen des "wahren Selbst" erfordert eine Bewegung, um sich im Zusammenstoß mit dem Nihil in den Abgrund der "vor den eigenen Füßen liegenden Leere" zu begeben und in dieser Vereinigung mit der eigenen Negation zur eigenen vollständigen Washeit zu finden; sei dies einmal zugestanden. Wie aber stehen dann all jene Dinge und Lebewesen zum "wahren Sein", denen der Abgrund des Nichts und das eigene Feld der Leere nicht aufscheinen kann, weil sie über kein dafür empfängliches Bewußtsein verfügen? Ist mithin alles andere Seiende außer dem Menschen verurteilt, in der Unrealität des Scheins zu verharren, oder sind alle anderen Dinge a priori von ganzer "Washeit"? Mithin: Wird hier nicht eine unerträgliche Kluft zwischen den Menschen und alles andere Seiende gelegt, von der man ganz gerne wüßte, woher sie uns käme, etwa als "Erbsünde"? Wie kommt der Mensch zu dieser einzigartigen Sonderstellung in der Fülle des Seienden? Sind die Dinge und anderen Lebewesen a priori identisch mit ihrem "Urfaktum", oder können sie es niemals werden? Oder wenn doch, wie nichtet sich ein Ding ohne Bewußtsein, um die Selbstidentität des "Urfaktums" zu erlangen? Was machen all jene Seelen, die es über Wiedergeburt mangels Ethik gerade in die Säue verschlagen hat?

Diese Trennungslinie zwischen Mensch und anderem Seienden, die übrigens geradeso im Christentum vorhanden ist, kann als sicheres Anzeichen dafür genommen werden (wie dies in aller Philosophie ebenso gilt, die jene Trennung enthält, etwa Heidegger), daß es sich um phantastische Metaphysik handelt, die dem Absolutheitsanspruch der Vernunft in Wirklichkeit sogar den Zusammenhang alles Seienden aufopfert. Weiteres Kennzeichen von Metaphysik sind gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptungen, in Nishitanis Fall, "daß" dieses "wahre Sein" die "absolute Dies-Seite" sei: Diese Behauptung hat Nishitanis Lehre, Leere, noch mit jeder anderen Metaphysik gemeinsam; in allen Fällen seit den Griechen und der Rezeption der Vernunft will Metaphysik das "wahre Sein" aufdecken, weil alle Metaphysik aus der Wesensabstraktion auf dem Spiegel der Vernunft entstammt.

Der Unterschied zwischen hergebrachter Zwei-Welten-Metaphysik und Nishitanis Einer-Welt-Leere besteht darin, daß er die Welt des Seienden umstülpt durch die Negation des Seienden durch dies Seiende selbst. Dadurch erhält man nicht direkt eine zweite Welt, sondern eine Art verdoppelte "Dies-Seite", in welcher zwei verschiedene Arten von "Selbsten" nebeneinander herleben, die "wahren" und die unrealen "Selbste".

Man sollte auch einmal so fragen: Wäre ein absolutes Nichts ohne den Menschen vorhanden? Die Welt des Seienden läßt sich durchaus ohne den Menschen und dessen Bewußtsein vorstellen – und so war der Zustand der Welt Milliarden Jahre lang. Was war in dieser Zeit mit dem absoluten Nichts? Anders gefragt: ist das absolute Nichts das "immerwährende Apriori", auf das als erstes die Vernunft des Menschen aufmerksam werden kann, oder ist es etwas, das die Vernunft des Menschen erst "schafft"? Schafft, indem der Mensch mittels seiner Vernunft sich gedrängt sieht, ein "wahres Selbst" auszuwickeln, als dessen "Ur-Sprung" das absolute Nichts beziehungsweise Gott postuliert wird?! Nachdem jedoch kein Ding bis einschließlich des Menschen der Verstandeskategorie diesen Drang fühlt, sondern von Natur aus ist, können diese Stadien des Seienden auf jenen angeblichen Urgrund des Nichts, wo sie allein Selbst seien: das Selbst des Feuers in der Identität von Feuer-Nichtfeuer – gar nicht stoßen, das Nichts wie das angebliche eigene "wahre Sein" zeigt sich nicht – alles Seiende hat an seiner Art "zu sein" genug, auch wenn sich der Mensch der Vernunft bemüßigt fühlt, ihm das Sein abzusprechen und seine Seiendheit als unrealen Schein zu qualifizieren.

Alles Seiende verharrt offenbar "notwendig" bis zur Ankunft der Vernunft im Menschen in der Gefangenschaft des Nicht-bei-sich-selbst-Seins, aus der es nun glücklich befreit ist? Feuer, du bist viel eher Nicht-Feuer – nun kenne dich! Hier liegt am Grunde eine Verwechslung zwischen Sein und Bewußtsein – das Bewußtsein soll das Sein bestimmen, anstatt sich vom Seienden bestimmen zu lassen: die Vernunft will auch hier göttlich werden.

Wie wichtig kann ein solch theoretischer Vernunftmythos, solch mystische Metaphysik sein, wenn alles, haarklein alles Geschehen in der und als Welt bis hin zu demjenigen, der solche Metaphysik verkündet, um keinen Deut anders verlaufen wäre? Daß also alles Seiende bis hin zu dem Künder solcher Metaphysik sich völlig unabhängig von dieser ausgewickelt hat? Worin sich doch zeigt, daß jene "absolute Negativität" wie das "Feld der Leere" für die Seiendheit einschließlich der Verstandeskategorie des Menschen völlig ohne Bedeutung und Wirkung waren und sind? Weist dies alles nicht darauf hin, daß der Mensch mit seiner Vernunft hier nicht ein wirkliches Apriori findet, sondern ein künstliches Apriori "schafft"?

Feuer brennt heute wie vor Milliarden Jahre, die Erde bebt und vernichtet Zehntausende, völlig gleichgültig dagegen, ob die wahre Natur des Feuers Nichtfeuer-Feuer, die wahre Natur des Bebens Nichtbeben-Beben sei oder nicht! Was schert die Dinge ihre "wahre Natur"? Sie verhalten sich danach, was sie sind. Ebenso wird die Welt nach dem Menschen ohne das Nichts sein, geradeso wie sie ohne "Gott" sein wird, wenn es nicht gelingt, daß der Mensch über sich hinauswächst.

Irgendwann kommt immer einmal der Punkt, wo solch metaphysische Konstrukte ärgerlich werden, wie Geschwätz wirken: wenn sie sich allzuweit von dem entfernen, was wir, als die, die wir sind, wissen können und damit auch sollen (wie es die Art jeder beschränkten Seiendheit ist). Letzlich verwechseln sich solche Konstrukteure selbst mit "Gott", indem vorgegeben wird, es gelänge, unsere Beschränkung im Seienden abzustreifen und "zu sein wie Gott". Denn dem gliche es ja, in der "Leere" wahrhaft "selbst" und allen Dingen gleich nah zu sein in deren wahrem "Selbst-Sein" – wie "Gott". Diese Mischung aus echter (Buddha) und Vernunftmystik (Nishitani) merkt gar nicht, daß hier in Wirklichkeit so etwas wie Gotteslästerung vorliegt ... wenn denn eine solche überhaupt möglich wäre, doch auch das noch ist blanke Metaphysik und Selbstüberhebung der Vernunft, zu glauben, daß man "Gott" "lästern" könne und auch noch wisse, wie das vor sich gehe.

Dieses "Ärgernis" an Nishitani verweist auf jenes Christus-Wort des Ärgernis-Nehmens und weist damit auf den inneren Widerspruch, den Nishitani geflissentlich übergeht: daß sich der Verstand notwendig an jenen Aussagen reibe, die für den Glauben da sind. Diese scharfe Gebietsscheidung verwischt er beständig, indem er den Eindruck erweckt, daß er jenes, was er über die Dies-Seite der Leere, die Selbstheit des Seienden, den Abgrund des Nichts samt deren verknüpfender Konstrukte vorführt, von seinem Verstand für den Verstand anderer Menschen sagt.(10)

An keiner Stelle sagt er: "Diese Selbstheit in der Leere als unmittelbare Dies-Seite habe ich als höchste Wahrheit und Wirklichkeit erlebt, und seither glaube ich – so glaube auch du, wenn du kannst!" Ganz im Gegenteil redet er so, als ob er jenen ominösen "Orte" (die alles andere als numinos, dafür aber metaphysisch-phantastisch wirken) in abendländischer Manier mit der Ratio "logisch" deduziere, wie eines davon ins andere greife, und zu welcher Einsicht jeder, der seinen Verstand nur entsprechend anspanne, ebenfalls gelangen könne und müsse. Nishitani – und ganz ähnlich Heidegger – erweisen mit ihrer Metaphysik, daß sogar noch die Vernunft als solche zu glauben vermag. Nicht nur an sich selbst als funktionelle Vernunft, das wäre banal.. Nein, ganz offenbar ist die Vernunft imstande, sich selbst zwar nicht direkt mystische, aber in ihrer existentiellen Selbsterfahrung mystifizierende Glaubensinhalte zu schaffen – und an diese dann zu glauben ...

Was soll man davon halten? Kann ein solcher Vernunftglaube ebenso gesehen werden wie echte Religion? Schafft sich doch in jeder Hochreligion der Gläubige den Glaubensinhalt nicht selbst. Dies spürt auch der Vernunft-Metaphysikus, und so ist weder Heidegger noch Nishitani so vermessen, den eigentlichen Gehalt ihrer Metaphysik dem Menschen als Eigenleistung zuzuschreiben. So fabuliert Heidegger zunächst im Wege "phänomenologischer Fundamentalontologie" mit dem Mittel der "reinen Vernunft" über das "Sein im Ganzen", das sich im Abgrund des Nichts lichte (hier die Verwandtschaft mit Nishitani), und darauf baut er einen eher philosophisch-vernünftigen als wahrhaft existentiellen Glauben an jene "wahre Seinslichtung" im Menschen, die er selbst aber nicht einzulösen vermag. Dies ist seine Grenze, die er nicht zu überschreiten imstande ist, und so setzt er hier auf das Wächteramt; sein Glaube ist demnach kein Glaube im religiösen Sinn, denn er kann auf ihn nicht vertrauensvoll sein Selbst als Selbst im Glauben setzen und damit erst zum "wahren Selbst" werden, weil sich ihm "das Sein im Ganzen" nicht "gelichtet" hat.

Anders Nishitani, der Glaubensinhalte und deren Beglaubigungen zunächst aus der Tradition (Buddha) hernimmt, um diese dann rational-metaphysisch unter Verwendung westlicher Denkmuster (etwa derjenigen Heideggers) zu analogisieren und zu symbolisieren – eine ähnliche Bewegung, wie sie sich in der zunehmenden Symbolisierung und Anpassung der Bibelauslegung feststellen läßt. Ob er aber dasjenige, was er mittels Ratio ableitend und umformend aus der östlichen Religion vorträgt: wie nämlich seine Vernunft jene Inhalte sehe und mit sich selbst zur Deckung bringe, wirklich im religiösen Sinn glaubt, kann hier nicht entschieden werden; denn es wird nirgends deutlich, ob ihm jener "Sprung", der für ihn den Zusammenstoß mit dem "Ur-Sprung" des absoluten Nichts und die Erfahrung des "wahren Selbst" wie alles Seienden als "Urfakta" "Mensch-Nichtmensch", "Seienden-Nichtseiendes" im Feld der Leere bedeutet, auch selbst existentiell widerfahren ist, oder ob er nicht nur über Hören-Sagen "deduziert". Es wird jedenfalls nicht eindeutig sichtbar, worauf sein unbestreitbar vorhandenes religiöses Vertrauen beruht: auf der Tradition, auf eigenem Erleben oder auf der Vernunft – oder von allem ein Teil?

IV. Sein und Schein

Was geht den Menschen das "Ding an sich" an, was das "wahre Wesen" der Dinge einschließlich des eigenen Selbst wie Nicht-Selbst im "Feld der Leere"? Sind das nicht alles metaphysische Produkte der "reinen Vernunft", die jenem lebendigen Spiel, in dem sich kategoriell Verschiedenes zueinander verhält, nichts zugeben und nichts wegnehmen, mithin einfach überflüssig sind? Wenn jemand Ohren hat, das "absolute Dies-Seits" im "Feld der Leere" zu hören, bitte sehr; aber ist es nicht viel wichtiger, sich mit dem individuellen Dasein lebendig auseinanderzusetzen, wo dieses Seiende auf das eigene Selbst stößt, als "im Feld der Leere" die Dinge anzutreffen, wie sie "wirklich" sind? Jenem Nihil am Grund der Welt wie dem Feld der Leere am Grunde des Selbst muß kein gesonderter Besuch abgestattet werden, ist es doch allezeit dabei: wenn sich Seiendes mit Seiendem befaßt, so ist in jenem Begriff je schon enthalten, daß Seiendes vor allem ein Vergehendes ist! Das Aktivum und die Freude des Lebens aber ist es, Seiendes in seiner Seiendheit anzutreffen, gerade weil alles Seiende das Nihil am Grunde hat. Und darum mag das "wahre Sein" aller Dinge gerne der Leere überlassen bleiben. Daß selbst die Gottheit dieser Meinung ist, spricht sich jedenfalls in der westlichen Religion darin aus, daß es Gottes Freude ist, wenn sich alles Seiende in seiner Kategorie angemessener Weise zu Umseiendem verhält, die Schöpfung in Kommunikation erfüllend und Neues zeugend.

Was das mit Erkenntnis zu tun hat? Zuerst dies, daß wir uns von keiner noch so "reinen" Vernunft dazu verleiten lassen sollten, die Seiendheit des Daseins in einen Schein zu verwandeln! Denn dadurch würden wir die Lebendigkeit des einzigen Diesseits ausstreichen, das wir haben und je haben werden. Sodann, daß wir unsere Vernunft zur Raison bringen, damit sie aufhöre, auf Grund ihrer Unfähigkeit, "Gott gleich zu sein", also aus der durchaus richtigen Erkenntnis, selbst beschränkt zu sein, hinter sich wie hinter dem Seienden etwas zu vermuten, was jeglichem Seienden erst "wahres Sein" verleihen soll – und auf diese Weise das Seiende zu entwerten. Weiter, daß wir die berechtigte Kritik unserer Wahrnehmungs- und Interpretationsvermögen von den Sinnen bis zur Vernunft nicht dahin überziehen, daß wir diese Vermögen mittels Vernunft als zu einer "wahren" Erkenntnis unfähig verwerfen, um in die "Tiefe" der Mystik abzutauchen – welche Undankbarkeit! Vor einem solchen Verdikt wären doch diese Vermögen erst noch daraufhin zu untersuchen, was sie zu leisten vermögen und was nicht. Schon ein oberflächlicher Augenschein zeigt dann aber, daß deren Leistungsvermögen offenbar größer ist, als daß wir bis jetzt die Leistungen dieser Vermögen zu beherrschen vermöchten.

Sodann das Problem der Subjekt-Objekt-Beziehung: daß wir genötigt sind, Seiendes einschließlich unserer selbst vorzustellen; dieser Umstand kann nicht "absolut" und statisch überwunden werden, sondern ausschließlich empirisch und dynamisch-kategoriell. Hat es sich doch erwiesen, daß der Glaube an die Absolutheit der Erkenntnisfähigkeit in der Sinnlichkeit interpretiert durch den Verstand, ebenso verkehrt war wie der Glaube an die "reine Vernunft" in der Metaphysik von den Griechen bis in die Idealphilosophie und den Materialismus. So läßt sich schon jetzt prognostizieren, daß Seiendes, um wieviele Kategorien mehr es in Zukunft auch immer geschichtet sein mag, zur absoluten Erkenntnis nicht fähig sein wird.

Dieser falsche Glaube an die Möglichkeit der Absolutheit der Erkenntnis taucht offenbar an der gleichen Stelle auf wie die Mystik: jeweils am Höhepunkt der Rezeptionsphase einer Kategorie. Während die Mystik den zweiten Halbkreis einer Kategorie vorwegnimmt, und gerade in dieser Vorwegnahme als Vorwegnahme sich berechtigt hält, mit dieser Vorwegnahme des Endpunktes jener Kategorie das Absolute erreicht zu haben und dies in Bilder umsetzt – ebenso ahnt die einsetzende Reflexion nicht nur die Tatsache eines Weges, sondern auch die Tatsache, daß dieser Weg ein Ende haben wird: das "zukünftige" Stadium der "absoluten" Erkenntnis, nach welchem Endpunkt es nichts mehr zu erkennen geben werde; so wähnte sich auch noch jeder Entdecker eines Zwischenschrittes der Reflexion bereits selbst als Endpunkt, bis auch er überholt wurde. Hier liegt die Selbstverwechslung zwischen Vermögen und Seiendem am Grunde, weil jedes neue Vermögen, das noch nicht ausreflektiert ist, sich notwendig für das höchste Erkenntnisvermögen hält und mit dem Ende der eigenen Erkenntnisfähigkeit das Ende der Erkenntnisfähigkeit überhaupt ansetzt.

Der Glaube an die Absolutheit beruht also auf einer psychologisch falschen Einschätzung, in der Mystik ebenso wie in der rationalen Reflexion. Und dieser Irrglaube hat einen starken Bundesgenossen: an dieser Stelle, dem Höhepunkt der Rezeption als Umschlagpunkt zur Reflexion, vernetzen sich Existentialität und Funktionalität in Eines, sodaß sich in Bezug auf die jeweilige Kategorie sagen ließe, in jenem Glauben an das Absolute, sei es seitens der Mystik, sei es von der Reflexion her, werde das Maximum der Interpretation von Seiendem durch Seiendes erreicht, gleichzusetzen mit dem "wahren Sein" – ist doch dieses Erleben der Vernetzung zwischen Vermögen und Existenz auch die neuronal-physische und psychische Grundlage der unio mystica. Dieses Erleben wird als "Gottesnähe" interpretiert, und die eigene innerliche Bewegtheit scheint dies durch den lebendigen Aufweis des "Außer-Sich-Seins" auch noch zu bestätigen.

Dieses "Außer-Sich-Sein" ist es übrigens, das auch schon auf der Stufe der Verstandeskategorie in gröberer Form den "Heiligen" dieser Entwicklungsstufe ausmacht, wenn der Schamane magische Kräfte bannt oder die Bacchantinnen rasen ("heiliger Wahnsinn"). Doch dieser Beweis durch das lebendige Erleben (das "Brennen", das "Feuer") ist ein Scheinbeweis, weil an dieser Stelle die eigentliche Selbstvernichtung, der Zusammenstoß mit dem Nichts erfolgen muß – nicht, um Sinne und Vernunft zu verwerfen, sondern um die existentielle Sphäre aus jenem falschen Bette herauszuwerfen, in dem sie sich mit der Vernunft vereinigt hat und in dem die Vernunft ihr das Absolute vorspiegelt, anstatt in der Transzendenz ihrer selbst, etwa wie in der echten Mystik, zusammenzusinken. Diese Feststellung der lebendigen.Innensphäre in der Vernetzung mit der Vernunft ist nichtswürdig, unlebendig! Nicht aber diejenige Tatsache, daß man mit Sinnen, Verstand und Vernunft sich in die Welt hineinstellt und mit ihnen die Welt wahrnimmt, mit Vermögen, die man genau zum Zwecke dieser Wahrnehmung mitbekommen hat.

Die allererste Frage in der Erkenntniskritik hat mithin zu sein: zu welchem Zwecke haben wir ein Erkenntnisvermögen? Denn genau in dieser Weise wird dieses Vermögen eingerichtet sein, wie alles andere Seiende ebenfalls nicht nur so eingerichtet ist, sondern noch mehr, etwa als bestimmte Tierart, genau dasjenige ist, zu welchem Zweck als Antwort auf ein bestehendes Reiz-"Angebot" es das geworden ist, was es ist. Von da aus ist weiterzufragen, ob das angesprochene Vermögen ein geschlossenes ist (etwa als "Art"), oder aber, ob es ein offenes ist, und was es mit dieser Offenheit gegebenenfalls auf sich habe.

Die allgemeinste Antwort muß im Hinblick auf Erkenntnis lauten, daß eine solche immer dann richtig ist, wenn mit dieser Erkenntnis der mit jenem Vermögen angestrebte Zweck erfüllt werden kann. Nicht von ungefähr ist auch heute noch dies genauestens die Art und Weise, wie wir auf der Stufe der Reflexion der Vernunft Theorien bilden: noch bei jeder Theorie kommt es nicht darauf an, daß sie "absolut wahr" sei, sondern daß sie falsifikationsfrei funktioniere. Außer von einem allwissend göttlichen ist von einem als Seiendes beschränkten Vermögen auch gar nichts anderes zu erwarten: es antwortet auf das (ihm) Vorgestellte entsprechend dem Modus des Vermögens. Das "wahre Sein" des Vorgestellten kommt (jedenfalls objektiv) in gar keiner Weise in Betracht (wenn die Theorie subjektiv oft auch für der Weisheit letzter Schluß gehalten wird), wenn nur der mit diesem Vermögen angestrebte Zweck erfüllt werden kann: daß der Frosch die Fliege, die seine Speise ausmacht, als diese seine Speise "erkennt" und zu fangen in der Lage ist. Was interessiert den Frosch, was die Fliege "an sich" ist!

Im übrigen ist die vieldiskutierte und selbst oft in Metaphysik ausartende Subjekt-Objekt-Beziehung des Menschen zu den Dingen in Wirklichkeit doch nur ein Unterfall der banalen und allgemeingültigen Tatsache, daß in der Welt der Dinge kategoriell unterschiedlich ausgestattete Seiendheiten nicht nur nebeneinandergestellt, sondern vielmehr in durchgängigen Bezugsketten und ständig notwendigem Beziehen auseinander hervorgewachsen, also sich gegeneinander vorgestellt sind; jedes Seiende spreizt sich auf seine Weise in das Umseiende, um auf diese Weise seine Zwecke erfüllt zu bekommen und um gleichzeitig andere Zwecke derer zu erfüllen, denen es selbst wiederum vorgestellt ist. Mithin: im Seienden ist alles zugleich Subjekt und Objekt. Subjekt ist alles Seiende, soweit seine eigenen Vermögen zu einem bestimmten Zweck aktiv in das Umseiende hineinragen; Objekt ist alles Seiende, soweit es das Vorgestellte des Umseienden, also anderer Subjekte ist. In der Reihe der Seiendheiten gilt, je mehr und differenziertere Vermögen ein Subjekt hat, desto mehr Objekte hat es auch. Dann wäre zu fragen, wessen Objekt der Mensch denn sei? Nun, der Mensch ist Objekt alles Seienden, das eine aktiv-subjektive (Zweck-) Beziehung und eben damit auch das oder die entsprechenden "Vermögen" in Richtung auf den Menschen hat, von den Atomen über die Molleküle zu den Viren und Bakterien, von den Krokodilen über die Nebenmenschen bis zu den ... Göttern. Ist der Mensch aber auch "Objekt Gottes"? Dann müßte "Gott" als Subjekt gedacht werden, mit bestimmten Vermögen versehen, die sich auf den Menschen erstrecken – eben damit wäre "Gott" verfehlt, denn wessen Objekt sollte dann das "Subjekt Gott" sein? "Gott" wie das Nichts kann eben überhaupt nicht gedacht werden, weder als Subjekt noch als Objekt noch deren "irgendwie" geartete Vereinigung. Kein Seiendes hat eine Beziehung zu "Gott" über seine immanenten FunktionsvermögenSeiendes steht in Bezug zu "Gott" durch sein Sein, als kommunikativer Bezug im Seienden, als "Leben". Es ist das Denken als eine Funktion des Seienden, das "Gott" durch Denken zum Objekt des Seienden (!) machen möchte und damit eine wahnhafte Metaphysik schafft, anstatt "Gott" zu leben. Es ist diese "Objektivierung" Gottes durch Denken, die den Anschein erweckt, als könne der Mensch, anders als alles andere Seiende, gar gegen "Gott" leben – welche Selbstüberhebung des Vermögens Vernunft! Alles Seiende "lebt" "Gott", einschließlich des Menschen; in Frage steht lediglich, ob sich die jeweilige "Lebensweise" der Arten und Individuen in Übereinstimmung mit der "göttlichen Lebensweise" befindet, oder ob sich Vermögen des Lebens im Selbstbezug verselbständigen – und in diesem Ver-Gehen vergehen.

So spricht der westliche Gott: "Ich bin das Leben", wo Buddha sagt: "Alles ist Nichts." Der Fehler im Westen allerdings ist, daß dieses Wort mißverstanden wird, weil man Geist mit Vernunft verwechselt und damit die Lebendigkeit austreibt. Dies läßt sich durchaus vergleichen mit dem Verhalten von Tierarten, wenn diese etwa mit überlegenen Fähigkeiten ausgestattet sind und so in innerer Notwendigkeit in der Anwendung dieser Fähigkeit sich die eigene Lebensgrundlage vernichten. So auch der Mensch: wenn er den "göttlichen Pfad" (des lebendigen Geistes) nicht trifft, werden ihn die Regulative dieses Pfades, denen auch er noch unterworfen ist, geradeso wie jene Tierart sehr bald eines Anderen belehren. Dieses Regulativ ist nicht "Gott"; vielmehr zeigen damit alle Seinsweisen des Seienden, daß sie als rezipierende beziehungsweise reflektierende Seinsweisen (atomare Ebene, Materie, Leben, Mensch) eine aufsteigende Linie darstellen und in ihrer lebendigen Kommunikation eine Richtung ausbilden. Die jeweils überlegene Seinsweise wickelt sich dabei bis an ihr Maximum aus, um schließlich von den als Seiendes im Ganzen (Welt) ihn umgebenden Regulativen entsprechend den herrschenden Bedingungen des Regulariums zurechtgestutzt und festgestellt zu werden.

Im Prinzip hat auch der Mensch im Zusammenstoß mit den Mitmenschen und der Welt die der Vernunft zugehörigen Regulative bereits ausgewickelt – dies ist die Ethik. Das Problem liegt darin, daß die Ethik der Vernunft noch keine derart unumstößliche Gültigkeit erlangt hat wie etwa das Fühlen der Emotio und der Nutzen des Verstandes, weil bereits die Verbindung von Existentialität und Vernunft auf die Population gesehen relativ selten ist: die "Lern"-Fähigkeit der Spezies hinkt der Auswicklung der Möglichkeiten der Vernunft und deren Rückwirkung weit hinterher.

Der erreichte Entwicklungsstand setzt damit für das "wahre Selbst" des Menschen zweierlei Aufgaben:

a) die Verwirklichung der Ethik innerhalb der Spezies

b) die Transzendenz der Ethik wie der Vernunft als An- und Entschließen einer lebendigen Existentialität, als Annahme des "lebendigen Gottes".

"Wahres Selbst" im Sinne der essentia als wahres Sein ist immer und genau dort, wo die Transzendenz des Individuums sich mit dem "lebendigen Gott" vereint – dies gilt auf allen Kategoriestufen und führt per se ipsum zur Verwirklichung der Ethik durch das entschlossene Individuum, weil diese zum wahren Sein ein selbstverständliches Unterhalb ist. Daher müssen die ethischen Werte keinesfalls unbedingt vernunftgemäß rezipiert beziehungsweise reflektiert werden, denn auch der Verstandestyp wird im Treffen der wahren Transzendenz das Ethische ohne jedes reflexive Bewußtsein verwirklichen, wenn und weil er dem lebendig-gerichteten Existentialität folgt, die über ihn hinausweist.

"Wahres Selbst" gründet auf Leben, nicht in dessen fliehender Verleugnung als Schein, sondern umgekehrt in der umgreifenden Annahme der Lebendigkeit der existentia als essentia. Und "wahres Selbst" gründet Leben, insofern die Transzendenz von entleerten Gehalten der Altvermögen nach deren Doppelreflexion eine erweiternde Offenbarung des "göttlichen" Umgreifens der Kommunikation im Seienden entschließt. Die immanente Ausdrucksweise der Existentialität und gleichzeitig der Aufweis der Lebendigkeit ist Liebe in all ihren kategoriellen Formen von den Quarks bis zum Menschen: Liebe ist die Sublimation jener anziehenden Kraft, die das Seiende umgreift und in diesem Umgreifen ihre eigenen Steigerungsformen hervorbingt.

So ist der "Wille" lediglich eine falsche Verselbständigung jener Liebe; die Folge der Liebe, bezogen zu sein, wird mittels Ratio zur Ursache gemacht. Sieht man diesen Zusammenhang zwischen Liebe und Wille nicht, und verwirft den Willen als Motor des Leidens, so verwirft man damit auch die Liebe zum Lebendigen! Diese wahre Liebe zum Lebendigen wird verworfen von der Vernunft, weil sie selbst es ist, die sich einbildet, "lieben" zu wollen und zu können (s.a. Kants "Liebes-Pflicht): Vernunft ist es, die ihr von ihr selbst postuliertes "Absolutes" höher schätzt als das Lebendige. Das "wahre Selbst" im "Feld der Leere" ist ein "vernünftiges" Selbst, in dem die Subjekt-Objekt-Beziehung aufgehoben gedacht wird, indem der Mensch sich als "Urfaktum" aus "Nichtmensch-Mensch" "erleben" soll. Doch bleibt es mit diesem Erleben allzumeist beim Anspruch; und dieser Anspruch ist nichts anderes als eine Ableitung und Verlängerung aus der Art und Weise der Vernunftkategorie selbst: das rezipierende und schließlich reflektierende Vergleichen führt zum Einzig-Wahren, und dessen Maximum ist das Absolute, in welchem die in der eigenen Reflexion erkannte Subjekt-Objekt-Spaltung in der "Ganzheit des Wahren" aufgehoben werden soll.

Das Absolute ist bei allen Völkern, die die Reflexion der Vernunft erreicht haben, die gleiche Antwort der Vernunft in der reflektierenden Interpretation des Seienden und führt in jedem Falle zu einer Zwei-Welten-Metaphysik, so auch bei Nishitani. Zwar gibt er vor, daß gerade mit seiner absoluten Negativität und dem "wahren Selbst" aus dem Zusammenstoß mit dieser im vor den eigenen Füßen liegenden "Feld der Leere" diese Zwei Welten dadurch vereinheitlicht seien, daß das dadurch erlangte "Sein" das bloß Seiende quasi umschlösse, jene "niedrigere" Seinsweise zur allein wahren erhöhe. Aber dies ist doch der nämliche Irrtum, dem schon Platon unterlag, als er einzig seinen "Ideen" wahres Sein zusprach. Auch Platon war sich keineswegs bewußt, Metaphysik als Zwei-Welten-Theorie zu treiben, sondern glaubte, Eine Welt zu interpretieren als die Welt des "wahren Seins" der Ideen, dergegenüber die Realität des Seienden nur in minderer Weise an der Seinsqualität der Ideen teilhabe. Schon Aristoteles gelangte zu der umgekehrten Auffassung wie sein Meister, und stellte der ersten Substanz des Seienden (hyle = Stoff) die zweite Substanz des "Wesenswas" (morphe = Form) gegenüber, womit er einen sinnvollen Bezug zwischen Verstand und Vernunft, sinnlichem Schein des Empirischen und wesensgemäßer Entelechie der Formen herstellte.

Aus der Beschränktheit der Erkenntnisvermögen des Seienden ist also eine ganz andere Konsequenz zu ziehen, als ein Absolutes zu phantasieren, sei es als "Gott", sei es als Nihil, um dann womöglich im Feld der Leere gottgleich zu werden: dasjenige wahre Selbst, das es real im Seienden zu finden gilt, besteht nicht in der absoluten Washeit des "Urfaktums Mensch-Nichtmensch", sondern darin, eine neue Ausdrucksweise des Seienden im Seienden herauszubilden. Das wahre Selbst unterscheidet sich von den "Normal-Selbsten" dadurch, daß es keine Wiederholung oder Variation innerhalb des Rahmens der Tradition ist, sondern daß es, ausgelöst durch die eigenen Anlagen samt einer drängenden Existentialität, diesen Rahmen transzendiert, oder dies zumindest versucht.

Es ist das im Individuum konkretisierte schöpferische Lebendige selbst (daher denn die Notwendigkeit der Konzentration), das auf Erhöhung des Umgreifens in Kommunikation drängt. Hier ist weder etwas Absolutes, noch werden die Normal-Selbste zu unrealen degradiert, sondern hier wird die Reihe des Seienden fortgelebt. Das Seiende im Ganzen, also die Welt, behält seinen "Wert" und wird doch in ein solches Verhältnis zum Sein im Ganzen gestellt, daß in letzterem jene das Seiende im Ganzen (als eine jeweilige Momentaufnahme der zeitlosen Ewigkeit) transzendierende Offenheit enthalten ist, die wir sowohl mittels der Reflexion selbst wahrzunehmen imstande sind, wie diese Offenheit gleichzeitig jener gebärende und dunkle Schoß ist, in und aus welchem jene seienden Individuen an der Phylogenesespitze ihr wahres Selbst als neues Seiendes entbergen und so dem Sein eine neue Qualität des Umgreifens hinzufügen.

Der funktionale Weg des Drängens führt in allen Seinsweisen über Rezeption und Reflexion als die zwei Halbkreise einer Kategorie; im heutigen Stadium hat die Selbstreflexion der Vernunft zur Entleerung der Innerlichkeit des Menschen geführt mit all ihren negativen Auflösungs- und Verzweiflungsformen, gleichzeitig jedoch auch zur Chance eines neuen Aufbruchs, wenn man es sich nur verbietet, diesen in der falschen Richtung zu suchen. Nicht die Selbstreflexion der Vernunft und all ihrer Vorformen wird Neues offenbaren, sondern allein das lebendige Drängen über jene hinaus, sich ihrer dabei bedienend; denn nur in der Vernunft als bislang letzter Funktion des Seienden vernimmt sich diese Lebendigkeit – ebenso wie sie sich einst sich im Drängen über den Verstand hinaus hin zur Vernunft sich in diesem verstand: Transzendenz zeigt sich nicht in mystischen Gefilden der Leere, sondern immer auf der Basis des letzten Altvermögens.

Der innerliche Aufweis der Transzendenz ist das Heilige als Innenwahrnehmung des Lebendigen selbst, im Kern-Erleben unverbunden mit Bildern und Gefühlen, sich aber all dieser Funktionen bedienend: der Gehalt des Weisens setzt sich in diesem Erleben in Gedanken der Vernunft und Bilder des Verstandes um, und erzeugt dabei das konzentrierteste Glücksgefühl. Dieser "positiven" Definition des Heiligen entspricht die abendländische Religiosität, hingegen lassen sich im Pessimismus der buddhistischen Religion nur Teilbereiche davon ausmachen. Zwar fehlt es nicht an jenen übereinstimmenden Stufen des Heiligen, die man als "Reinheit" (Ethik), "Demut" (Vernichtung des Selbst) und "Einung" (Transzendenz des Selbst) bezeichnen könnte, doch im östlichen Verständnis haben all diese Formen etwas Blasses: die Erleuchtung erlöst vom Seienden, die Seele rettet sich nichtend ins Feld der Leere, das Sein als absolute Negation ist Alles, das Seiende ist nichtswürdig, Ethik ist Lebensvermeidungsstrategie.

Nirgends findet sich jener Glanz des Heiligen, der den positiven Teil der Transzendenz ausmacht und dem Feuer der Erleuchtung entströmt: jenes konzentrierte Brennen, das sich aus dem Kontakt mit der Transzendenz ins Seiende mit jener Strahlkraft wendet, die der Umwelt das erfahrene Numinose beglaubigt. Damit wird nicht einer westlich anthropozentrischen, selbstüberhöhenden Verherrlichung das Wort geredet, in welcher der Mensch seine eigene vermeintliche HERRlichkeit an den Himmel malt; jedoch kann die Konsequenz aus dem Nihilum am Grunde aller Vermögen des Seienden im Ganzen nicht in einer "weißen Leere" gefunden werden, in welcher das Selbst mit dem "Sein" ineins wird, sondern in einem Auf-Leuchten, in jenem Glanz des Heiligen, der ein Widerspiegeln des Brennens ist. Dieses positive Heilige ist – und darum leuchtet es! – nicht für sich selbst da, etwa allein für den Erleuchteten, daß er dem Karma ins Nirwana entkomme, nein, das Heilige und sein Glanz sind für die ganze Welt des Seienden da!

Diese erhöhende Weltzugewandtheit fehlt im östlichen Denken. Die Weltzuwendung gerade des Besten und Höchsten besteht im Opfer: der Held der Verstandeskategorie opfert sein Leben für Macht oder Überleben seiner Mitmenschen; der Held der Vernunftkategorie opfert sein Leben beziehungsweise sein Dasein einer Idee, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Kunst. Und der Held der Transzendenz opfert sich für die Menschheit – er nimmt sein Kreuz auf sich, stellvertretend für alle Menschen. Dieses "Opfer" ist keine auf die menschliche Spezies beschränkte "Existentiale", sondern zieht sich im Trial- and Error-Verfahren durch die gesamte Evolution als Mutation und Selektion: die Erweiterung der umgreifenden Bahn des Lebendigen setzt sowohl die jeweilige Phylogenesespitze und noch mehr echte Transzendenz/Innovation immer einer Zerreißprobe im Widerspiel mit dem Bestehenden aus.

Im östlichen Denken ist es gerade auch die Wahrnehmung des Opferns und Geopfertwerdens, die das Dasein fliehen läßt: das daraus folgende Mitleiden mit dem Seienden überwiegt, obwohl andrerseits Seiendes nur Scheinnatur haben soll (die darin liegende Inkonsequenz scheint man nicht zur Kenntnis zu nehmen). Damit befindet sich die östliche Anschauung nicht nur im Widerspruch zur Ganzheit des Lebendigen in der Innerlichkeit als Leiden und Herrlichkeit, sondern auch im Widerspruch zur Natur selbst, wie sich der Weg des Seienden im Ganzen (Welt) real manifestiert. Übt so nicht der seiende Mensch Verrat am Sein im Ganzen ("Gott" in seiner Singularität), wenn er nichts Eiligeres zu tun hat, als sich aus der eigenen Seiendheit herauszusehnen, heraus aus einer Seiendheit, welche die Ent-Faltung jenes Nichts ist? Der Versuch, im Kontakt mit dem Nichts im Feld der Leere als "Urfaktum Mensch-Nichtmensch" ein Selbst zu setzen, bedeutet nichts anderes, als die eigene Seiendheit nicht anzunehmen, die Ent-Faltung des Nichts zu verweigern.

Diese Flucht ins Absolute stammt aus dem Mißverstand einer richtigen Beobachtung: der Offenheit der Spezies Mensch nach vorne, die sich im reflexiven Bewußtsein als Ungenügen an sich selbst wie der eigenen Art spiegelt, als Unvollständigkeit, die wiederum eine Folge der Nichtfestgestelltheit ist. Diese Wahrnehmung des Un-Heils versucht das asiatische Grundgefühl vom Sein in einem großen Sprung ins Absolute des "wahren Seins" zu überwinden, wo es in der Realität des Seienden auf ein "Höher" des Umgreifens abgesehen ist, auf eine weitere Ausdifferenzierung des Seienden selbst – dieser Grundhaltung folgt eher das westliche Denken. Denn hier heißt das Göttliche in sich zu spiegeln: die innere Verwandtschaft und Kreatürlichkeit im Sinne von Geschaffenheit und Seiendheit im Nichts ("Gott") als dessen Ursprung und Ziel zu "erkennen" und eben damit "von Gott erkannt zu werden". Diese Spiegelung hat so vor sich zu gehen, wie alles Seiende "Gott" spiegelt: daß es auf seine Weise in und als Geschaffenheit (Seiendheit) in dieser Beschaffenheit "Zeugnis ablegt". Jenes "Göttliche" "ist" nicht noch einmal neben dieser Welt des Seienden vorhanden (Zwei-Welten-Metaphysik), es liegt auch kein Feld der Leere vor den Füßen des Seienden, sondern "Gott" ist in ihr, oder er ist überhaupt nicht, nicht einmal als Nichts: dieses "Göttliche" ist es, das in der Seiendheit und in die Seiendheit hinein aus seinem Nichts alles Seiende erschafft, in welches Nichts hinein alles Seiende vergeht – Sein und Nichts sind keine Gegensätze, sondern identisch. Der Gegensatz zu beidem wäre im bipolaren Denken der Vernunft gerade die Seiendheit. Nicht das Sein entfaltet sich aus dem Nichts, auch nicht als "wahres Selbst" im Feld der Leere, sondern die Seiendheit. Sein kann sich in keiner Weise in der Seiendheit entfalten, weil es nicht vergehen kann: vergehen kann nur Seiendes. Entfaltete sich Sein aus dem Nichts, so würde das Seiende übersprungen, es wäre gar nicht vorhanden.

Nishitani begreift Seiendheit nicht als Gegensatz zum Sein, sondern als Differenz: diese Differenz zwischen Sein und Seiendheit werde im Kontakt mit der absoluten Negation im Feld der Leere aufgehoben und das ganze Sein als Urfaktum in der Vereinung seiner Gegensätze erfüllt. Nur eine statische und rückwärtsgewandte Vernunft, die sich von der falschen metaphysischen Perspektive der Griechen nicht freigemacht hat, kann in einer weiteren Aufgipfelung des Wesens- und Wertgedankens zu einem solchen Pessimismus gelangen, in welchem in Wirklichkeit die Vernunft die Erkenntnis ihrer eigenen Leere als absolute Negativität postuliert. Postuliert zum Zwecke der Entindividualisierung, um sich in der "Einheit des Seins" zu verlieren, weil die Seiendheit des Individuums das Leiden in der Welt bewirke.

Psychologisch gerechnet wirken hier zwei verschiedene Urteile zusammen: zunächst die richtige, wenn auch eher intuitiv-unbewußt als reflexiv-deduktiv erfaßte Erkenntnis der Leere der Vernunft, welche Erkenntnis dazu zwingt, den Wert der Existenz und damit die Essenz an anderer Stelle zu suchen. Wiederum vorschnellend und ohne rationale Helle mengt sich hier die angebliche "Erkenntnis" des Leidens in der Welt ein: das Mit-Leiden als reagierende lebendige Anteilnahme der Vernunftkategorie blickt nur neben sich und nennt dies "über sich hinaus", obwohl im pessimistischen Vorurteil die positive Seite der Transzendenz als agierendes und echtes Darüberhinaus überhaupt nicht gesehen wird.

Hier liegt der entscheidende Unterschied zum Christentum, das – jedenfalls in seiner weiteren Entwicklung in Verbindung mit der griechischen Philosophie – beide Perspektiven aufnimmt: im Doppelgebot des NT spricht sich die Vernunftidee der Wesensgleichheit der Menschen als mitleidende Liebe zum Nächsten ebenso aus wie die Strahlkraft der "Idee des Guten, Wahren Schönen" im Glanz des Heiligen der Gottesliebe über sich selbst hinaus – für die reduktionistische Vernunft und deren Reflexion zuletzt basierend auf dem ebenfalls vernunftgeborenen Konzept der Evolutionstheorie: Bewahrung des Seienden in einem labilen Gleichgewicht als Basis und deren transzendierende Steigerung von der Materie über das Lebendige zum Geistigen.

Anmerkungen:

(1) Anders ausgedrückt: von der modernen Ausdifferenzierung des Denkens und der sich damit wechselwirksam ereigneten neuronalen Vernetzung im Wege der kulturellen Evolution

(2) Diehls/Kranz 28 B 6,7,8: "Man soll es aussagen und erkennen, daß es Seiendes ist; denn es ist (der Fall), daß es ist, nicht aber, daß Nichts (ist)." ... "Denn niemals kann erzwungen werden, daß ist, was nicht ist. Im Gegenteil, du sollst das Verstehen von diesem Weg der Untersuchung zurückhalten." ... "Einzig also noch übrig bleibt die Beschreibung des Weges, daß es ist."

(3) Naturwissenschaftlich gesagt: der unabgeschlossene, nicht-teleologische Weg der materiellen, biologischen und kulturellen Evolution

(4) Hier handelt es sich natürlich um das gleiche Problem wie in "Fides et Ratio", wenn der Papst für die "Offenbarung des Glaubens" einen anderen als den rationalen Erkenntnisgrund behauptet.

(5) "Himmel und Hölle", "Schwarz und Weiß", "These und Antithese": das westliche Nichts gliche hier lediglich der "Antithese" des Seins, hingegen stelle das östliche Nirwana quasi die Synthese aus dieser westlichen Antithetik dar – hier wird die innere Verwandtschaft mit dem metaphysisch-spekulativen Idealismus deutlich sichtbar.

(6) Nicht zufällig sollte sein, daß ziemlich gleichzeitig mit Buddha (5. Jh. vC) in Griechenland nach dem Erreichen der Reflexion mit Platon und Aristoteles sowohl im Epikureismus, in der Stoa und bei den Skeptikern diese Unbewegtheit unter verschiedenen Vorzeichen als Lebensziel aufgestellt wurde.

(7) Auch dies ist sicherlich kein Zufall: wenn Gott nur in einer negativen Theologie ausgesagt werden kann, so muß Gleiches für die mit diesem Gott korrespondierende Seele gelten.

(8) Die beiden großen Religionsstifter der Vernunft, Buddha und Jesus, waren ja nicht die einzigen auf dieser Suche nach der "Religio" der Vernunft, sondern im "Würfelspiel Gottes" (i.e. die Kontingenz des Auslesens einer bestimmten Ausprägung einer "Idee", die "der Zeit not tut", im Wege der kulturellen Evolution) fiel die Wahl auf sie, die sich geradeso mit einem ganz anderen Namen der vielen Suchenden hätte verbinden können.

(9) Man sehe sein berühmtes "Memorial": "... Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternach FEUER ... Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude ... Ewige Freude für einen Tag geistiger Übung auf Erden ..."

(10) Hier soll natürlich keinerlei religiösem Glauben das Wort geredet werden: Glaube meint hier jenen existentiellen Ent-Schluß, den jeder Mensch, sei es bewußt oder in den verschiedensten Mischformen zwischen Ratio und Emotio unbewußt, dadurch in sich trägt, daß er seine Existenz an ganz bestimmten Werten und Urteilen entlang führt und damit eine bestimmte Gerichtetheit in sie hineinbringt, sei dies von "hinten" religiös fundiert oder nach "vorne" offen als hypothetische Teleologie, die sich durch bewußte Entscheidung an ganz bestimmten Werten ausrichtet: der "Glaube" gehört der existentiellen Sphäre zu, das Wissen der funktionellen.


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